13. Februar 2020, 21:42 Uhr

Aufregung »nicht nachvollziehbar«

13. Februar 2020, 21:42 Uhr
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Von DPA
Nach den Berichten über den Einsatz des Medikaments Cytotec, das zur Geburteneinleitung verwendet wird, haben die heimischen Kliniken und die Deutsche Gynäkologische Gesellschaft Stellung bezogen. Sie verteidigen die Verwendung des Wirkstoffs. FOTO: DPA

- In Deutschland nutzen Geburtsmediziner zur Einleitung der Wehen Medienberichten zufolge ein Medikament, das in der Geburtshilfe nicht zugelassen ist. Das könne in Einzelfällen zu schweren Komplikationen bei Mutter und Kind führen - bis hin zum Tod von Babys, berichten die »Süddeutsche Zeitung« und der Bayerische Rundfunk. An heimischen Kliniken indes bleibt man gelassen - und gibt Entwarnung.

Cytotec ist in Deutschland als Magenmedikament zugelassen. Im Rahmen ihrer Therapiefreiheit können Ärzte die Pille aber auch als Wehenauslöser einsetzen, wenn ihnen dies angemessen erscheint und eine Schwangere vorher zugestimmt hat.

Im Bad Nauheimer Hochwaldkrankenhaus kann man die aktuelle Aufregung in keiner Weise nachvollziehen. Cytotec mit dem Wirkstoff Misoprostol sei ein Mittel aus der Wirkstoffgruppe der Prostaglandine, erklärt die Klinik. Prostaglandine würden seit Jahrzehnten zur Geburtseinleitung eingesetzt, weil sie das Gewebe des Gebärmutterhalses weich machten und die Bildung von Kontraktionen förderten.

Ursprünglich und seit vielen Jahrzehnten wegen seiner kontraktionsauslösenden Wirkung von der WHO weltweit zur schnellen und wirksamen Therapie von nach der Geburt auftretenden Blutungen empfohlen, werde Cytotec seit etlichen Jahren in den Industrieländern auch zur Geburtseinleitung eingesetzt.

Hochwald: Sicherheit nachgewiesen

In der Frauenklinik des Hochwaldkrankenhauses Bad Nauheim werde Cytotec seit dem 1. Januar 2020 verwendet, als Ersatz für ein Mittel mit exakt demselben Wirkstoff, das seit 31. Dezember 2019 nicht mehr produziert werde. Das Mittel, dessen Produktion eingestellt wurde (Misodel), war zur Geburtseinleitung zugelassen. Cytotec sei, erklärt Oberärztin Dr. Anika Rifi, deshalb zur Geburtseinleitung nicht zugelassen, weil die Pharmafirma die Zulassung des Mittels speziell für diese Anwendung nie beantragt habe. Eine Reihe wissenschaftlicher Studien weise jedoch die Effizienz und Sicherheit von Cytotec in der Geburtseinleitung nach.

Grundsätzlich, erklärt Rifi weiter, müsse bei jedem wehenauslösenden Mittel im Vorfeld genau geprüft werden, ob das Mittel für die Patientin infrage komme. Cytotec beispielsweise dürfe im Falle eines vorangegangenen Kaiserschnitts nicht gegeben werden. Auch könne jedes wehenauslösende Mittel einen sogenannten Wehensturm verursachen, der Mutter und Kind stresse.

Im Hochwaldkrankenhaus sei Cytotec seit dem 1. Januar 2020 einmal eingesetzt worden, »in der geringstmöglichen Dosierung«, wie Rifi betonte. Die Medizinerin zeigte sich von der aktuellen Diskussion des Themas in den Medien überrascht, da das Medikament seit vielen Jahren weltweit und auch in deutschen Geburtskliniken eingesetzt werde und auch die Weltgesundheitsorganisation WHO es ausdrücklich empfehle.

Lich: Noch nie Probleme gehabt

Tilman Beck ist Sektionsleiter Geburtshilfe an der Asklepios-Klinik in Lich. Er stellt klar, dass Cytotec im Krankenhaus nicht in der Geburtshilfe verwendet wird. Wohl aber der Wirkstoff Misoprostol. »Cytotec ist der Markenname, Misoprostol der Wirkstoff. Mit dem Unterschied, dass dieser Wirkstoff in Cytotec in einer weitaus größeren Dosierung enthalten ist, als in den Präparaten, die wir verwenden«, sagt Beck.

Auch Beck betont, dass der Wirkstoff seit Jahrzehnten in der Geburtshilfe eingesetzt werde. Er sei zum Beispiel auch in der Leitlinienempfehlung der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe verankert. Die aktuelle Debatte kann er überhaupt nicht nachvollziehen. »Bei uns hat es mit dem Wirkstoff noch keine Probleme gegeben.«

Asklepios ergänzt dazu, dass Misoprostol seit 1992 in Deutschland zur Geburtseinleitung eingesetzt werde und »man anhand des vorliegenden Datenmaterials in Bezug auf die (Asklepios-)Kliniken keine schaden- und/oder haftungsrelevanten Auffälligkeiten im Zusammenhang mit der Gabe von Misoprostol« erkennen könne, heißt es in der Mitteilung.

Alle Schwangeren würden vor Gabe von Misoprostol zur Geburtseinleitung in einem persönlichen, ärztlich geführten Gespräch über den Off-Label-Use, die mit der Gabe des Medikaments einhergehenden Risiken sowie Behandlungsalternativen aufgeklärt.« Mit Off-Label-Use ist gemeint, dass ein Arzneimittel gegen eine Krankheit eingesetzt wird, für die es von den Zulassungsbehörden keine Genehmigung hat.

UKGM: Einsatz in seltenen Fällen

Auch das Universitätsklinikum Gießen und Marburg (UKGM) weist darauf hin, dass Cytotec seit vielen Jahren weltweit zur Erweiterung des Gebärmutterhalses und damit auch zur Geburtseinleitung angewendet werde. Im Gegensatz zum zugelassenen Prostaglandin E2, das zu Anregung der Wehentätigkeit eingesetzt werde, könne Cytotec beispielsweise bei Patientinnen mit Asthma angewandt werden, da es keine Verengung der Bronchien zur Folge habe.

In der Frauenklinik am Standort Gießen des UKGM werde Cytotec nicht als Mittel der ersten Wahl zur Geburtseinleitung angewendet. Als Reservemedikament könne es nach Aufklärung über »Off Label« und Zustimmung der Patientin in seltenen Fällen eingesetzt werden. »Diese Fälle sind beispielsweise gegeben, wenn andere, zugelassene Medikamente zur Einleitung der Wehen nicht wirksam sind«, heißt es in der Mitteilung.

»Einseitige Berichterstattung«

Mittlerweile hat sich auch die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) gemeinsam mit den Fachgesellschaften geäußert. Die Gynäkologen verteidigen den Einsatz des Wirkstoffs Misoprostol zur Geburtseinleitung, der - entgegen der Berichterstattung - keineswegs umstritten sei. Es gebe keinen Wirkstoff, der ähnlich gut in Studien untersucht worden sei. Die angeführten Todesfälle seien laut DGGG Einzelfälle, die vor allem Geburten betreffen, bei denen im Vorfeld eine Operation der Gebärmutter erfolgt sei. Hier gebe es unabhängig von einer Geburtseinleitung immer das Risiko, dass es zu einer Uterusruptur mit entsprechendem erhöhtem Risiko für Mutter und Kind kommen könne. In dieser Situation dürfe Misoprostol nicht zur Geburtseinleitung verwendet werden, was seit vielen Jahren bekannt sei und im klinischen Alltag beachtet werden müsse.

Die Fachgesellschaft verweist auf die Bedingungen zum Einsatz von Misoprostol, die bereits von Oberärztin Rifi in diesem Artikel beschrieben wurden. Misoprostol sei in vielen Ländern zur Geburtseinleitung zugelassen, weshalb eher eine Besonderheit in Deutschland bestehe. Nach dem Ende der Zulassung von Misodel solle Ende 2020 in Deutschland mit der Zulassung von Angusta gestartet werden, einem niedriger dosierten Präparat.

Man sei irritiert über die »einseitige Berichterstattung«, die zu einer unnötigen und gefährlichen Verunsicherung der Schwangeren und der Fachkräfte führe. Eine neue Leitlinie sei in Arbeit, in der die Verwendung von Misoprostol zur Geburtseinleitung - in Einklang mit den Richtlinien in anderen Ländern - empfohlen werde. gäd/dpa



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