23. August 2019, 20:17 Uhr

Beuth: Polizei deutlich aufgestockt

In diesem Sommer haben gleich drei Gewalttaten unser Land erschüttert: der Lübcke-Mord, der versuchte Mord in Wächtersbach an einem Eritreer und der Kindermord am Frankfurter Haupt- bahnhof. Fälle, die Ängste schüren vor erstarkenden Rechtsradikalen und traumatisierten Migranten. Über Konsequenzen bei den Sicherheitsbehörden sprach Christiane Warnecke mit Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU).
23. August 2019, 20:17 Uhr
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Aus der Redaktion
Beuth

Innerhalb weniger Wochen sind in Hessen drei brutale Verbrechen geschehen. Haben die Sicherheitsbehörden geschlafen?

Peter Beuth: Nein, es handelt sich um Einzeltaten, die jeweils unfassbar schlimm waren. Ich finde es wichtig, dass alle drei mutmaßlichen Täter mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit feststehen. Dieser schnelle Ermittlungserfolg der Polizei ist ein wichtiges Zeichen in die Bevölkerung hinein.

Dennoch ist das Sicherheitsgefühl der Menschen durch diese Ballung von Gewaltverbrechen und den rechtsradikalen Hintergrund der beiden ersten Fälle erschüttert…

Beuth: Das kann ich nachvollziehen. Insgesamt geht in Hessen die Zahl der Straftaten zurück, und die Aufklärungsquote geht hoch. Bundesweit hat Hessen die drittniedrigste Kriminalitätsbelastung hinter Bayern und Baden-Württemberg. Trotzdem spüren wir, dass es ein Unwohlsein bei manchen Leuten gibt, obwohl die objektive Sicherheitslage gut ist. Das hilft aber nicht, wenn die Leute sich subjektiv nicht sicher fühlen.

Was tun Sie dagegen?

Beuth: Wir haben die Polizei deutlich aufgestockt und dies ist auch im öffentlichen Bild sichtbar. Darüber hinaus versuchen wir mit unserer kommunalen Sicherheitsinitiative »KOMPASS« gezielt herauszufinden, woran das liegt. In Zusammenarbeit mit den Kommunen untersuchen wir dabei, woher dieses Unsicherheitsgefühl rührt. Das kann auch an dunklen Ecken in einer Stadt liegen.

Könnte es auch daran liegen, dass Mitglieder von Schützenvereinen ihre Waffen zu Hause lagern und von ihren Vereinen gedeckt werden, wenn sie rechtsradikale Botschaften äußern, wie es wohl beim Waffenbeschaffer von Stephan E. der Fall war?

Beuth: Es gibt klare Regeln für die Aufbewahrung von Waffen. Aus Vereinshäusern Waffenbunker zu machen, wäre auch keine Lösung. Es ist in Deutschland nicht jedem erlaubt, eine Waffe zu tragen. Das ist auch gut so. Dennoch sehe ich Verbesserungsbedarf. Ich habe mich bereits auf Bundesebene dafür starkgemacht, das Waffenrecht dahingehend zu verschärfen, dass Extremisten grundsätzlich nicht legal an eine Waffe kommen können. Bedauerlicherweise gab es bisher dafür keine Mehrheit auf Bundesebene. Ich werde mich aber weiterhin dafür einsetzen und bin überzeugt, dass nun auch im Bund ein Umdenken stattfinden wird.

Sie plädieren dafür, dass künftig keine Waffenerlaubnis mehr an mutmaßliche Extremisten erteilt wird, warum wurde das nicht schon längst so gehandhabt?

Beuth: Beim automatisierten Waffenentzug bei Extremisten sehe ich Nachholbedarf, das ist richtig. Ich setze mich schon länger dafür ein, dass keine Waffe in die Hände von Extremisten kommt. Jetzt habe ich die Hoffnung, dass es gelingen wird. Im Kreis der CDU-Innenminister und beim Bundesinnenminister bin ich letzte Woche auf offene Ohren gestoßen. Im Moment haben wir die Situation, dass eben nicht jeder Extremist seine Waffe entzogen bekommen kann, auch wenn er einen offenen extremistischen Hintergrund hat und etwa Mitglied einer verbotenen Partei ist. Selbst da sind die rechtlichen Anforderungen so, dass ein Gericht gesagt hat, das reiche nicht, um die waffenrechtliche Zuverlässigkeit infrage zu stellen.

Sie haben auch angekündigt, dass der Verfassungsschutz Menschen mit extremistischer Vergangenheit künftig erneut überprüft, bevor ihre Daten gelöscht werden. Warum haben die Behörden nicht schon längst genauer hingeschaut, spätestens seit der NSU-Mordserie?

Beuth: Natürlich schaut der Verfassungsschutz genau hin. Ihm ist es nicht immer möglich, dies auch öffentlich darzustellen. Beim Verfassungsschutz hat sich seitdem enorm viel verändert. Wir haben allein das Personal um 42 Prozent aufgestockt. Es ist ja auch nicht so, dass wir nicht tätig waren. Im Gegenteil: Ein öffentliches Beispiel sind die erfolgreich unterbundenen rechtsextremistischen Konzerte.

In Frankfurt gibt es erwiesenermaßen rechtsradikale Umtriebe bei der Polizei. Warum gehen dort die Ermittlungen nicht voran?

Beuth: Die Ermittlungen werden mit Hochdruck betrieben. Es muss aber gründlich gearbeitet werden. Es sind viele Terabyte an Daten, die ausgewertet und so aufbereitet werden müssen, dass sie später einem strafrechtlichen Verfahren standhalten. Das ist sehr aufwendig. Wir haben eine Gruppe mit 60 Kollegen im LKA gebildet, die intensiv ermittelt. Dabei geht es nicht nur um das Verfahren bei der Frankfurter Polizei. Wir hatten insgesamt 38 Kollegen in Hessen, die im Verdacht standen, einen rechtsextremistischen Hintergrund zu haben, den sie durch das Teilen von Bildern oder Sprüchen offenbart haben. Mehr als ein Dutzend Verfahren sind eingestellt worden, fünf Mann wurden aus dem Dienst entlassen. Bei den restlichen laufen die Ermittlungen noch. Jeder noch so kleine Anfangsverdacht in der hessischen Polizei wird sofort von den Ermittlern geprüft.

Die lange andauernde Unsicherheit über den Umfang des selbst ernannten NSU 2.0 beschädigt den Ruf der Polizei. Sind Zweifel an der Integrität der Beamten angebracht?

Beuth: Nein. Ich sehe tagtäglich, dass die Kollegen ihre Arbeit ordentlich machen. Der Ruf der hessischen Polizei ist aber angegriffen durch diese rechtsextremistischen Verdachtsfälle. Ich kämpfe dafür, den tadellosen Ruf der Polizei wiederherzustellen.

Wie soll das gehen?

Beuth: Indem die Ermittlungen konsequent zu Ende geführt werden. Durch die Art und Weise, wie wir damit umgehen, machen wir deutlich, dass wir so etwas in der hessischen Polizei auf gar keinen Fall dulden. Wir haben eine wissenschaftliche Untersuchung auf den Weg gebracht, die sich mit möglichen Ursachen beschäftigt. Und wir nehmen die Führungsstruktur in der Polizei unter die Lupe. Von Weiterbildung bis hin zu Supervision unternehmen wir alles, um aufzuklären und zu sensibilisieren.

Rechtsradikale Umtriebe häufen sich nicht nur bei der Polizei. Wie schätzen Sie die Gefahr einer braunen Bewegung in Hessen oder gar in ganz Deutschland ein?

Beuth: Die Verhältnisse in unserem Land sind rauer geworden. Die Gesellschaft hat sich verändert. Das zeigt sich an der Zuspitzung der Hetze und des Hasses im Netz. Ich finde es dramatisch, dass Leute plötzlich offen die Werte unseres Landes verunglimpfen. Das hätte ich mir noch vor fünf Jahren so nicht vorstellen können. Das liegt vielleicht auch an den neuen Möglichkeiten, seine Gedanken über soziale Medien für eine breite Masse zur Schau stellen zu können und dort Gleichgesinnte und Resonanz zu finden.

Besteht ein Zusammenhang zwischen der neuen Dimension des Rechtsextremismus und dem Erstarken der AfD?

Beuth: Die AfD nimmt Minderheiten ins Visier und äußert sich immer wieder in einer Form, die inakzeptabel ist. Sie heizt die Verrohung in unserer Gesellschaft noch bewusst an. Das betrifft nicht alle in der AfD, aber viele. Es ist eine Partei, die keine Inhalte hat und von ständigen Grenzüberschreitungen lebt. Ich denke, dass dies für manche Leute Ansporn sein kann, noch weiter zu gehen.

In dieser Woche wurde das erste IS-Kind zurückgeholt nach Kassel. Wie stellen die Behörden sicher, dass von Syrien-Rückkehrern keine Gefahr ausgeht.

Beuth: Wir können bestätigen, dass drei Kinder aus Erbil nach Frankfurt gebracht wurden. Eines davon ist in Hessen geblieben. Bei den Kindern ist das erst mal keine Sicherheitsfrage, sondern eine Frage der Fürsorge. Diese Kinder sind meist Waisen und brauchen Hilfe. Wir wollen sie auf dem Weg hin zur Normalität begleiten. Es werden weitere kommen. Wir sind darauf vorbereitet mit einem Projekt, das wir im Juli gestartet haben.



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