24. Februar 2020, 22:33 Uhr

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Tragödie am Rosenmontag

Volkmarsen in Schockstarre: Ein Mann steuert sein Auto in eine Menschenmenge beim Rosenmontagsumzug. 30 Menschen werden verletzt. Es bleiben Fassungslosigkeit und Ungewissheit.
24. Februar 2020, 22:33 Uhr
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Von DPA
Blick auf das Auto, das in einen Rosenmontagsumzug gefahren ist. Dutzende Menschen wurden verletzt. FOTO: DPA

Eine dunkle Plane verdeckt den Blick auf den Ort, an dem kurz zuvor noch Eltern und Kinder fröhlich Fasching gefeiert haben. Der Rosenmontagsumzug in Volkmarsen wurde jäh beendet. Dort, wo Menschen dem Umzug zujubelten und Kamelle fingen, fährt plötzlich ein Auto in die Menge. 30 Menschen sind verletzt, sieben von ihnen schwer - darunter sind auch Kinder. Auf dem Boden liegen am Montagnachmittag Stoffreste, womöglich von Kostümen. Überall in den Straßen der kleinen Stadt in Nordhessen stehen Fahrzeuge von Polizei und Feuerwehr.

Der Fahrer, nach Angaben der Ermittler ein 29 Jahre alter Deutscher, wird schnell gefasst, doch die Hintergründe sind zunächst unklar. Manches spricht dafür, dass der Mann sein Auto absichtlich in die Menge steuerte - auch wenn sich die Polizei am frühen Abend noch nicht endgültig darauf festlegen will.

Aber was trieb ihn an? Sofort werden schlimme Erinnerungen wach. Wieder ein Schock, wieder Hessen. Erst vor fünf Tagen erschoss in Hanau - zwar auch in Hessen, aber mehr als 200 Kilometer entfernt - ein 43-Jähriger insgesamt zehn Menschen und sich selbst. Dieser Anschlag war mutmaßlich rassistisch motiviert, der Täter war psychisch krank. Obwohl die möglichen Beweggründe des Autofahrers in Volkmarsen unbekannt sind, denke viele an den vergangenen Mittwoch. Die Nacht von Hanau hat sich bei den Menschen in Hessen schmerzlich ins Gedächtnis eingebrannt.

Der dunkle Sichtschutz am Tatort in Volkmarsen wird nur ab und zu geöffnet, um Rettungsfahrzeuge hereinzulassen. Auch Stunden nach der Tat rollen noch ganze Kolonnen von Rettungswagen in den Ort, Dieselaggregate sorgen für ohrenbetäubenden Lärm.

Überall auf der Straße liegt Konfetti - aber nach Feiern ist keinem mehr zumute. Noch wenige Grüppchen stehen zusammen, eine Mutter mit Kinderwagen sagt: »Ich hab nichts gesehen, Gott sei Dank.« Und wer etwas gesehen hat, will meist nicht darüber sprechen. Ein Mädchen mit Mutter, das etwas entfernt vom Tatort stand, erzählt von Menschen mit blutenden Nasen. Ein Mensch habe offenbar unter dem Auto gelegen. Aus Kneipen, in denen zuvor noch Karneval gefeiert wurde, dringt keine Musik mehr. Viele stehen vor der Tür, trotz ihrer bunten Kostüme sehen sie traurig aus. Viele telefonieren oder tippen auf ihren Handys. »Dabei denkt man ja eigentlich hier ist die Welt noch in Ordnung«, sagt der 1. Vorsitzende der Volksmarser Karnevallsgesellschaft, Christian Diste. Es habe noch nie Drohungen gegen den Karneval gegeben. Der Umzug in der Stadt in Nordhessen, gelegen zwischen Kassel und dem Sauerland, hat rund 700 Teilnehmer, 27 Gruppen seien in diesem Jahr dabei gewesen.

Doch auch Stunden später bleibt die Ungewissheit. »Wir sind alle betroffen, alle tief geschockt.« Im Rathaus wurde ein Notlagezentrum mit Seelsorge und Polizeikräften eingerichtet.

Schon öfter sind Menschen in Deutschland mit einem Auto in Menschengruppen gerast. Der Hintergrund reicht von versuchtem Selbstmord über psychische Erkrankung bis hin zum Anschlag.

Bottrop/Essen, Silvester 2018/2019: Ein Rechtsradikaler steuert sein Auto an beiden Orten in feiernde Menschen, die er für Ausländer hält. Insgesamt gibt es 14 Verletzte. Ein Gericht wertet die Taten unter anderem als Mordversuch. Der Deutsche kommt in die geschlossene Psychiatrie.

Münster, April 2018: Ein 48-Jähriger steuert einen Campingbus in eine Menschenmenge. Vier Passanten sterben, der Täter erschießt sich. Nach Erkenntnissen der Polizei handelte der Mann in Selbstmordabsicht.

Cuxhaven, November 2017: Ein Mann rast mit einem Auto in eine Menschengruppe - was anfangs an einen Terroranschlag erinnert, ist eine Trunkenheitsfahrt. Sieben Menschen werden teils schwer verletzt. Der Syrer wird zu vier Jahren Haft verurteilt.

Heidelberg, Februar 2017: Ein Mann fährt in Passanten, es gibt einen Toten. Der vermutlich psychisch kranke Fahrer flieht, Polizisten strecken ihn mit einem Bauchschuss nieder. Der Deutsche kommt in eine Psychiatrie.

Berlin, Dezember 2016: Mit einem gekaperten Sattelzug steuert Anis Amri in den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz. Er tötet insgesamt zwölf Menschen und verletzt Dutzende. Der Tunesier wird auf seiner Flucht in Italien von der Polizei erschossen. dpa



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