14. Januar 2020, 22:14 Uhr

Zwischen Krise und Neuanfang

Eigentlich will die Arbeiterwohlfahrt am Wochenende einen Ausweg aus dem Skandal um ihre Kreisverbände Frankfurt und Wiesbaden finden. Doch Durchsuchungen der Ermittler sorgen nun für den vorläufigen Höhepunkt in einer Affäre, die noch lange nicht ausgestanden ist.
14. Januar 2020, 22:14 Uhr
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Von DPA
Die Staatsanwaltschaft in Frankfurt durchsucht wegen des Vorwurfs von Betrug und Untreue die Geschäftsräume der AWO-Kreisverbände in Frankfurt und Wiesbaden. FOTO: DPA

Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) kommt nicht zur Ruhe. Der Wohlfahrtsverband, der in Deutschland rund 18 000 Einrichtungen und Dienste betreibt und mehr als 230 000 hauptamtliche Mitarbeiter beschäftigt, wird seit Wochen von einem Skandal um zwei hessische Kreisverbände erschüttert. Es geht unter anderem um Vorwürfe des Betrugs und der Selbstbedienung, merkwürdige personelle Verflechtungen und teure Dienstwagen. Und das ausgerechnet bei einer Organisation, die im sozialen Bereich tätig ist und viel mit öffentlichen Stellen zusammenarbeitet und dafür Geld erhält. Am Dienstag gipfelten die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen in einer Durchsuchungsaktion in Räumen der AWO in Frankfurt und Wiesbaden.

Auch Privatwohnungen wurden durchsucht, wie eine Sprecherin der Frankfurter Staatsanwaltschaft sagte. Die Aktion richtet sich gegen sechs AWO-Verantwortliche, zwei Frauen und vier Männer. Sie hätten bei der Organisation in Frankfurt beziehungsweise Wiesbaden - teilweise in beiden Kreisverbänden gleichzeitig - zum Teil ehrenamtlich leitende Funktionen gehabt.

Eigenes Prüferteam

Die Staatsanwaltschaft ermittelt schon seit Monaten. Anfangs ging es im Zusammenhang mit dem Betrieb von zwei Flüchtlingsunterkünften um Betrugsverdacht zum Nachteil der Stadt Frankfurt - Personalkosten in sechsstelliger Höhe sollen falsch abgerechnet worden sein. Dann drangen über Medienberichte, offenbar über einen Whistleblower, immer neue Vorwürfe an die Öffentlichkeit: So soll es Luxusdienstwagen und ungewöhnlich hohe Gehälter einiger Mitarbeiter gegeben haben, Honorarverträge für eigentlich hauptamtlich beschäftigte Mitarbeiter sowie teure Hotelübernachtungen.

Nach den Durchsuchungen und der von der Staatsanwaltschaft genannten möglicherweise sechsstelligen Schadenssumme stellte die Stadt Frankfurt am gestrigen Dienstag Strafanzeige.

Der Bundesverband will die Vorwürfe konsequent aufklären und hat ein eigenes Prüferteam geschickt. Zudem setzte der Bezirksverband Hessen Süd eine Task Force unter Leitung der früheren Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) ein. »Die Handlungen der Staatsanwaltschaft machen die Tragweite der Vorwürfe in Frankfurt am Main und Wiesbaden deutlich. Sie zeigen auch, dass die von uns eingeleiteten internen Prüfungen der richtige Weg waren«, sagt der Vorstandsvorsitzende des AWO-Bundesverbandes, Wolfgang Stadler. Jetzt gehe es um eine vollständige Aufklärung und die Begleichung von finanziellen Schäden, »da nur diese einen radikalen und glaubwürdigen Neuanfang ermöglichen.«

Der Bundesverband werde die Staatsanwaltschaft bei Bedarf in vollem Umfang unterstützen. »Wir fordern auch von den Verantwortlichen vor Ort, uneingeschränkten Aufklärungswillen zu zeigen«, sagt Stadler. »Alles andere schadet dem in über 100 Jahren hart erarbeiteten Ansehen der gesamten AWO.« Die Sprecher der betroffenen Kreisverbände Frankfurt und Wiesbaden waren am Dienstag zunächst nicht für eine Stellungnahme erreichbar.

Auch der Frankfurter Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) war zeitweise in den Sog des AWO-Skandals geraten - seine heutige Ehefrau soll als Leiterin einer deutsch-türkischen Kindertagesstätte der AWO unter anderem ein höheres Gehalt als üblich bekommen haben. Feldmann kündigte daraufhin an: »Sollte tatsächlich ohne sachlichen Grund auch nur ein Cent Gehalt zu viel gezahlt worden sein, wird von uns jeder Cent zurückbezahlt.«

Die Durchsuchungsaktion der Ermittler kommt zu einem Zeitpunkt, an dem die AWO eigentlich nach vorne schauen möchte: An diesem Samstag will der Frankfurter Verband zu einer Kreiskonferenz zusammenkommen, bei der es um eine personelle Neuaufstellung und die Suche nach einem Neuanfang gehen soll. Der FDP-Landtagsabgeordnete und Frankfurter Stadtverordnete Yanki Pürsün sagte, alle offenen Fragen müssten sofort beantwortet werden. »Der Skandal hat einen Umfang erreicht, der das Vertrauen der Bevölkerung in die Institutionen der Kommunen und des Landes zu Recht erschüttert.«

AWO-Präsident Wilhelm Schmidt sprach vor Kurzem bei einem Termin in Frankfurt von »Verfehlungen, die wir nicht hinnehmen können«. Geld, das womöglich veruntreut worden sei, wolle der Bundesverband »bis zum letzten Cent« zurückholen. Besonders rügten die Vertreter des Bundesverbands als »Hüter des guten Namens der AWO« personelle Verflechtungen zwischen den Kreisverbänden Frankfurt und Wiesbaden, die eine effektive Kontrolle erschwerten sowie »unangemessene« Gehaltsstrukturen.

Abgesehen von den laufenden juristischen Ermittlungen sind nach Angaben eines Frankfurter AWO-Sprechers die finanziellen und wirtschaftlichen Auswirkungen noch nicht abzuschätzen. Auch das Finanzamt prüft den Frankfurter Verband. Die Stadt Frankfurt will ebenfalls prüfen, ob sie weiterhin mit der AWO zusammenarbeitet oder Verträge gekündigt werden.



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