31. August 2021, 21:07 Uhr

Größte Gefahr kommt von rechts

Die Sorge vor Terrorismus rechter Einzeltäter wächst. Der Verfassungsschutz berichtet von mehr extremistischer Gewalt in Hessen. Aber auch linke Straftaten bei A49-Protest bestimmen den Bericht der Behörde für das Jahr 2020, der gestern vorgelegt wurde.
31. August 2021, 21:07 Uhr
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Aus der Redaktion
Eine Gedenktafel mit den Fotos der neun Getöteten erinnert in Hanau an die Opfer der Anschläge im Jahr 2020. Der Rechtsextremist Tobias R. hatte am 19. Februar 2020 neun Menschen aus rassistischen Motiven erschossen. FOTO: DPA

Innenminister Peter Beuth (CDU) und Verfassungsschutzpräsident Robert Schäfer sind sich einig: Der Rechtsextremismus ist und bleibt die größte Bedrohung für die Demokratie in Hessen wie auch im übrigen Bundesgebiet. Auf sein Konto gehen allein 42 der 79 im vergangenen Jahr in diesem Bundesland registrierten Gewalttaten, wie sie gestern bei der Vorstellung des hessischen Verfassungsschutzberichts für das vergangene Jahr in Wiesbaden bekannt gaben.

Die weitaus gravierendste dieser Taten hat im Februar 2020 ganz Deutschland erschüttert: Der rassistisch motivierte Mord an neun Menschen mit ausländischer Herkunft in Hanau. Was die Sicherheitsbehörden aber am meisten beunruhigt, ist die Sorge vor weiteren Anschlägen aus diesem Spektrum - vor einem regelrechten Rechtsterrorismus mit ähnlichen Strukturen, wie man sie aus dem islamistischen Bereich kennt. Schäfer warnt vor Einzeltätern, die sich zuvor im Internet selbst radikalisiert haben und ohne feste Gruppenbindung umso schwerer zu kontrollieren sind. 52 Prozent und damit mehr als die Hälfte der ihm bekannten 1660 Rechtsextremisten in Hessen stuft das Landesamt für Verfassungsschutz als gewaltbefürwortend, gewaltunterstützend, gewaltbereit oder gewalttätig ein.

Antidemokratische Agitation

Um gut ein Drittel - von 886 auf 1216 - wuchs die Zahl der Straftaten aus dem Bereich des Rechtsextremismus in Hessen im vergangenen Jahr, die der Gewalttaten von 31 auf 42. »Unsere Erkenntnisse unterstreichen, dass sich Rechtsextremisten im Aufwind fühlen«, berichtet Schäfer. Sprache und Habitus strotzten teilweise von einem Selbstbewusstsein, dem der Staat und die Zivilgesellschaft »unmissverständliche Stoppsignale entgegensetzen« müssten.

Mit einem gewissen Erfolg versuche die Szene, die Corona-Pandemie und sogar die Flutkatastrophe für ihre Zwecke zu missbrauchen, wie auch Innenminister Beuth berichtet. Die Rechtsextremisten mischten sich erfolgreich unter die Menschen, die gegen Pandemieauflagen protestierten, und verbreiteten ihre demokratiefeindliche Agitation gegen Politiker, Wissenschaftler und Journalisten. Verfassungsschützer Schäfer spricht von einem »erstarkten missionarischen Eifer« der Szene. »Besonders widerwärtig« nennt Beuth das Vorgehen der NPD und anderer bei den Opfern der Flutkatastrophe, wo Extremisten mit polizeiähnlichen Fahrzeugen dafür sorgen wollten, dass die staatliche Hilfe »bei den Richtigen ankommt«.

Mit einer sogenannten Gegen-Uni samt Vorlesungen und Seminaren im Netz vermittle die Neue Rechte ihre Themen. In Kassel hätten die Rechten in einem ehemaligen Hotel begonnen, ein »Deutsches Kulturzentrum« aufzubauen. Doch Beuth und Schäfer versprechen, die Extremisten zu bekämpfen. Der Kampf gegen Rechtsextremismus habe höchste Priorität, sagt der Innenminister und will auch die Demokratiegegner unter den Corona-Leugnern verstärkt in den Blick nehmen. Das Verfassungsschutzamt hat nach einer Überprüfung 54 Rechtsextremisten wieder in die Beobachtung genommen, deren Akten bereits gesperrt worden waren. Ein Fall wie der des angeblich als Rechtsextremist »abgekühlten« Mörders von Walter Lübcke soll sich nicht wiederholen.

Linke Gewalt bei A49-Protesten

Insgesamt verdoppelte sich die Zahl extremistischer Gewalttaten 2020 in Hessen fast von 41 auf 79. Einen signifikanten Anstieg gab es auch im Linksextremismus, wo Aktivisten der Szene den legitimen Umweltprotest gegen den Bau der Autobahn 49 im Dannenröder Forst mit unzähligen Gewaltakten gegen Polizisten begleiteten. Von fünf auf 34 Taten stieg dadurch landesweit die Gewaltbilanz der Szene. Schäfer erinnerte an eine verurteilte Aktivistin, die Polizeibeamte gegen den Kopf trat. Nicht hinnehmbar sei auch, dass die Extremisten mit eingeritzten und verklebten Fingerkuppen ihre Identität verschleierten.

Bei Islamisten und Salafisten blieb die Zahl der Szenemitglieder in Hessen mit 4170 laut Verfassungsschutzbericht seit Jahren praktisch unverändert. Auch bei den Straftaten (35) gab es keinen Zuwachs, vermeldet wurden zwei Gewalttaten. Für eine Entwarnung gibt es laut Schäfer gleichwohl keinerlei Anlass. Er sieht die Gefahr eines Anschlags sogar höher denn je, und warnt, auch unter die in Europa Schutz suchenden Menschen aus Afghanistan könnten sich Terroristen mischen.



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