27. Juli 2021, 22:01 Uhr

Kritik an zentraler Unterbringung

Über 150 000 Flüchtlinge leben in Hessen. Viele sind in den Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes oder in Unterkünften der Kommunen untergebracht. Die zentrale Unterbringung in Gemeinschaftsheimen stößt dabei auf Kritik.
27. Juli 2021, 22:01 Uhr
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Von DPA
In Gemeinschaftsunterkünften fehlt es vor allem an einem: Privatsphäre. FOTO: DPA

Viele Menschen auf engem Raum: Für zahlreiche Flüchtlinge gehören Gemeinschaftsunterkünfte noch zum Alltag. Kritikern ist dies ein Dorn im Auge. Die Zahl der Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes Hessen für Flüchtlinge erhöhte sich mittlerweile auf zehn. Wegen der Corona-Pandemie seien der Standort Darmstadt als feste sowie vier Jugendherbergen als temporäre Einrichtungen in den letzten Monaten dazugekommen, sagte ein Sprecher des Regierungspräsidiums Gießen der Deutschen Presse-Agentur.

Fast 4800 Menschen (Stand Ende Juli) seien aktuell in den Erstaufnahmeeinrichtungen im Land untergebracht. Rund die Hälfte der Asylbewerber befinde sich alleine am Standort Gießen. Wie lange die Jugendherbergen Teil des Standortkonzepts sind, hänge auch von der weiteren Entwicklung der Corona-Pandemie ab, erklärte der Sprecher.

Längerer Aufenthalt in Heimen

Vor allem wegen Änderungen im Bundesasylgesetz habe sich die Zahl der Menschen in den Erstaufnahmeeinrichtungen im Vergleich zu den Vorjahren deutlich erhöht, teilte das hessische Sozialministerium in Wiesbaden mit. Nach der Gesetzesänderung werde für viele Geflüchtete dort ein deutlich längerer Aufenthalt geregelt. Zum gleichen Vorjahreszeitpunkt belief sich die Gesamtbelegung in diesen Einrichtungen in Hessen nach Angaben des Ministeriums auf rund 2624 Menschen.

Die Standorte für die Erstaufnahme der geflüchteten Menschen befinden sich in Bad Arolsen, Büdingen, Darmstadt, Gießen, Kassel und Neustadt. Dazu gibt es den Angaben zufolge die temporär angemieteten Ausweichstandorte in den vier Jugendherbergen. Diese sind in Büdingen, Kassel, Lauterbach und Grävenwiesbach. Eine Außenstelle nur für Flughafenverfahren gibt es zudem am Frankfurter Flughafen. Erste Anlaufstelle für Asylbewerber in Hessen ist das Ankunftszentrum in Gießen. Hier werden die Menschen registriert und medizinisch untersucht, und hier stellen sie auch ihren Asylantrag. Nach dem Prozedere in dem Zentrum kommen die Asylbewerber in die Erstaufnahmeeinrichtungen. Später erfolgt dann die Zuteilung in die Kommunen. Dort leben die Menschen teils in Sammelunterkünften, aber auch in Wohnungen.

Nach Angaben des zentral zuständigen Regierungspräsidiums in Gießen wohnen in den Erstaufnahmen derzeit Menschen mit mehr als 50 verschiedenen Nationalitäten und unterschiedlichen Religionen. Der Schutz der Menschen in der Corona-Pandemie sei mit den Gesundheitsämtern abgestimmt. »Es wurden und werden konsequent Tests durchgeführt, und jede Person mit Krankheitsverdacht wird bis zur Vorlage der Laborergebnisse abgesondert«, teilte das Präsidium mit. Es gebe Informationsblätter in 14 Sprachen.

Für die Flüchtlinge seien Sprach- und Freizeitangebote wiederaufgenommen worden. Kinder hätten während der Pandemie Schulmaterialien bekommen. Beauftragte Caterer würden auf die Besonderheiten der Flüchtlinge achten.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes lebten zum Stichtag 31. Dezember 2020 gut 158 000 Flüchtlinge mit unterschiedlichem Aufenthaltsstatus in Hessen. Im Jahr zuvor waren es gut 1000 Menschen weniger. In die Gesamtzahl fallen anerkannte Flüchtlinge, aber auch Personen im Asylverfahren. Dazukommen etwa auch Menschen, deren Asylverfahren gescheitert, eine Abschiebung aber aufgrund der Lage in ihrem Heimatland nicht möglich ist.

»Eigene Wohnung existenziell«

Die Unterbringung in zentralen Flüchtlingsheimen stößt dabei auf Kritik, nicht zuletzt wegen der Corona-Pandemie. Der Geschäftsführer des hessischen Flüchtlingsrates, Timmo Scherenberg, bezeichnete die Art der Unterbringung als »Vollkatastrophe«. »Wir haben oft erlebt, dass Unterkünfte über Wochen unter Quarantäne standen«, sagt er. Aber auch unabhängig von der Pandemie glaube der Flüchtlingsrat, dass eine dezentrale Unterbringung integrationspolitisch sinnvoller sei. Die zentrale Unterbringung sei zum Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015/2016 sicher sinnvoll gewesen, doch dies sei sechs Jahre her. »Die Leute müssen ein normaler Mensch sein dürfen«, sagte Scherenberg. Dafür sei eine eigene Wohnung existenziell.

Im ersten Halbjahr dieses Jahres stellten dem zuständigen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zufolge fast 59 000 Menschen einen Erstantrag auf Asyl in Deutschland. 2016 waren es mehr als 720 000 Menschen gewesen. Die Leute werden nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel auf die Bundesländer verteilt. In Frankfurt ist eine dezentrale Unterbringung zumindest angedacht. Im jüngst verabschiedeten Koalitionsvertrag von Grünen, SPD, FDP und Volt heißt es, Gemeinschaftsunterkünfte dürften keine dauerhafte Lösung sein.



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