Nach den Enthüllungen über das Ausmaß des jüngsten Polizeiskandals gehen FDP und Linke davon aus, dass es ein rechtsextremes Netzwerk in der hessischen Polizei gibt. »Wenn sich 49 Polizeibeamte, zwei ehemalige Polizisten und fünf externe Personen in insgesamt sieben Chatgruppen mit unterschiedlicher Zusammensetzung über - laut Staatsanwaltschaft - rechtsextreme Inhalte austauschen, dann kann man das nur als rechtes Netzwerk in der Polizei bezeichnen«, sagte der FDP-Innenpolitiker Stefan Müller gestern in Wiesbaden.
Am Abend zuvor hatte Innenminister Peter Beuth (CDU) im Hessischen Landtag auf Fragen von FDP und Linken diese Zahlen genannt. Daraus war deutlich geworden, dass nicht nur jene zunächst genannten 20 aktiven oder ehemaligen Beamten der Spezialeinsatzkräfte (SEK) Frankfurt an den Chats beteiligt waren, gegen die strafrechtlich ermittelt wird. Auch mit den Ende voriger Woche genannten neun Fällen von Polizisten, gegen die disziplinar- oder arbeitsrechtlich ermittelt wird, war noch nicht die ganze Größenordnung erfasst.
Vielmehr gab es zahlreiche weitere Teilnehmer der Chats mit volksverhetzenden und nationalsozialistischen Inhalten, gegen die nicht ermittelt wird - viele davon Polizisten aus unterschiedlichen hessischen Behörden. Neben 36 SEK-Kräften handele es sich bei den Teilnehmern um Polizisten von Landeskriminalamt, Landespolizeipräsidium, hessischer Polizeiakademie, der Bereitschaftspolizei sowie den Polizeipräsidien Frankfurt, Darmstadt und Fulda. Ob Frauen beteiligt waren, wurde nicht bekannt. Im Frankfurter SEK waren nach Beuths Angaben nur männliche Polizisten tätig.
Linken-Fraktionschefin Janine Wissler formulierte, angesichts dieser Dimension werde es »immer wahrscheinlicher, dass es ein rechtes Netzwerk in der Polizei gibt«. Wer weiterhin von »Einzeltätern« schwadroniere, »verkennt vollkommen die Realität und sagt schlicht die Unwahrheit«.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Günter Rudolph, urteilte: »Wir sehen einen echten Polizeiskandal, der deutlich über das SEK Frankfurt hinausreicht.« Das »Führungsversagen« sei erschreckend. »Die Vorgänge erschüttern das Vertrauen in die hessische Polizei insgesamt.« Auch Innenminister Peter Beuth hatte betont: »Diese Mitarbeiter, die so etwas machen, die unterlaufen die Integrität der hessischen Polizei.« Er trage die Verantwortung für die hessische Polizei. Es sei aber bei einer Organisation mit mehr als 20 000 Bediensteten nicht möglich, den Menschen in den Kopf zu schauen oder zu wissen, was sich auf ihren Handys abspiele.
Nach seinen Worten gibt es keine Anhaltspunkte für einen Bezug der jetzt bekannt gewordenen Chats zu den rechtsextremen Chats von Beamtinnen und Beamten im 1. Frankfurter Polizeirevier. Letztere waren im Zuge der Ermittlungen zu den rechtsextremen Drohschreiben des »NSU 2.0« aufgeflogen.
Wie es scheint, beobachteten die Teilnehmer der aktuell diskutierten Chats allerdings die Entwicklung um die andere Chat-Gruppe. Sie hatten sich nach Angaben der Ermittlungsbehörden vorwiegend in den Jahren 2016 und 2017 verbotene Botschaften zukommen lassen. Die letzten erfolgten im Januar 2019, danach wurde die Chat-Gruppe geschlossen. Kurz vorher, im Dezember 2018, war der »NSU 2.0«-Skandal öffentlich bekannt geworden.
Beuth beteuerte, dass die Sicherheit im Rhein-Main-Gebiet auch nach der Auflösung des SEK gewährleistet bleibe. Beamte aus dem zweiten hessischen SEK in Kassel seien hierher verlegt worden. Auch Polizisten aus anderen Bundesländern leisteten Unterstützung.
In jedem Fall dürfte es länger dauern, bis die hessische Polizei eine neue SEK-Struktur aufgebaut hat. Beuth sagte, das werde nach seiner Einschätzung nicht innerhalb eines halben Jahres gelingen. Am heutigen Donnerstag debattiert der Hessische Landtag ab 9 Uhr über den Polizeiskandal. Zu sehen im Livestream unter hessischer-landtag.de