Eigentlich war Gudrun Jullmann gar nicht auf der Suche nach einem neuen Hund. Ihr letzter - ein Boxer- ist im November verstorben. Sein Bild hängt noch im Flur neben denen seiner vielen vierbeinigen Vorgänger. Die 79-Jährige erzählt, dass sie schon immer Hunde hatte, es seien auch einige »schwierige Fälle« dabei gewesen. Deswegen zögerte sie nicht lange, als sie in der Zeitung von einem 13 Jahre alten Husky-Mischling mit Handicap las, den offenbar niemand haben wollte. Sie suchte den Kontakt zum Gießener Tierheim. Mitarbeiterin Sabine Hofmann arrangierte das erste Treffen mit Ash, im Mai zog der Vierbeiner bei der Pohlheimerin ein. Mit seinem neuen Zuhause hat der Hundeopa, der unter schleichender Demenz leidet, den Jackpot geknackt: Ein großer Garten und noch wichtiger; eine Besitzerin, die seinen besonderen Bedürfnissen nachkommt. Auf die Frage, warum sie sich für einen alten und kranken Hund entschieden hat, antwortet sie: »Er hat noch ein paar schöne Jahre verdient«.
Auch für den Gießener Tierschutzverein ist die Vermittlung des Hundes ein großes Glück. »Es gelingt uns nur ganz selten, ein Zuhause für einen so alten Hund zu finden«, sagt Astrid Paparone, die Vorsitzende des Tierschutzvereins. Die meisten Tierfreunde fürchteten sich davor, das Tier nach kurzer Zeit wieder zu verlieren. Dies sei absolut nachvollziehbar, sagt die Tierschützerin, denn der Abschied sei immer schmerzlich. Das Leben mit einem alten Hund habe aber auch Vorteile. Die Vierbeiner seien meist gelassener und unkomplizierter als die »jungen Wilden«. Gerade für ältere Menschen sei die Entscheidung für einen älteren Hund ideal. »Das ist oft eine sehr gute Kombination«, sagt Paparone.
Im neuen Heim wurde der Rüde kurzerhand umgetauft. Ash hört ab sofort auf Beethoven, wobei »hören« eigentlich das falsche Wort ist, denn der 13-jährige Hund ist taub. Ausgerechnet dieser Umstand brachte aber die Inspiration für neuen Namen. »Beethoven wurde im Alter auch taub und hat trotzdem noch Großes vollbracht, vielleicht wird es bei ihm ja ähnlich«, begründet Jullmann ihre Entscheidung. Ash bzw. Beethoven scheint sich gut eingelebt zu haben. Er wirkt zufrieden, wenn er gemächlich seine Runden im Garten dreht. Auch wenn man es dem »Rentner« auf den ersten Blick nicht zutraut; er kann auch schneller, weswegen seine neue Besitzerin schon überall im Haus Teppiche auslegen musste: Manchmal sei er so zügig unterwegs, dass er kaum die Kurve kriege. Die Teppiche sollen verhindern, dass er bei seinen waghalsigen Aktionen ausrutscht. Beethoven frisst auch leidenschaftlich gerne - egal was, Hauptsache Futter. »Manchmal steht er auch stundenlang vor dem Spiegel und betrachtet sich«, erzählt seine Besitzerin amüsiert. Wird Beethoven im hohen Alter eitel? Davon ist kurze Zeit später allerdings wenig zu spüren, denn als der Hund fotografiert werden soll, zeigt sich der »Senior« mäßig begeistert und wendet sich lieber wieder dem Garten zu. »Er ist einfach lustig«, sagt die Tierfreundin über ihren Schützling.
Auch mit anderen Hunden verstehe er sich gut. Wenn ihr Sohn mit seinen beiden Vierbeinern zu Besuch komme oder er mit dem sieben Monate alten Terrier Paul aus der Nachbarschaft spiele, sei er nicht wiederzuerkennen«, berichtet Jullmann während sie versucht, Beethoven mit einem Leckerli zu locken. Die Kommunikation sei manchmal schwierig, da sie nur über Handzeichen erfolgen könne, aber irgendwie würden sie sich schon arrangieren.
Im Oktober wird Beethoven 14 Jahre alt: »Das werden wir feiern«, kündigt Jullmann an. Ein Platz an der Bilderwand ist auch für den Husky-Mischling bereits reserviert. Aber wer weiß, vielleicht folgen ja noch ein, zwei weitere Geburtstage.