Bach-Kontraste war das Motto der vierten Nacht der Kirchenmusik des evangelischen Dekanats Gießen. Das Programm unter Leitung der hauptamtlichen Kantoren Christoph Koerber, Marina Sagorski und Cordula Scobel wurde in der Johanneskirche, Lukaskirche und Pankratiuskapelle von den Besuchern gut angenommen. Großzügige Pausen zwischen den einzelnen Konzerten erlaubten es, zum nächsten Veranstaltungsort zu schlendern und dabei mit anderen Musikliebhabern ins Gespräch zu kommen.
In der Johanneskirche als Startpunkt bildete Johann Sebastian Bachs wohl zum Dreifaltigkeitssonntag 1726 komponierte Kantate »Gelobet sei der Herr« BWV 129 den passenden Auftakt. Zum festlichen Charakter des Eingangschors trug die glanzvolle Besetzung mit drei Trompeten, Pauken, Flöte, zwei Oboen, Streichern und Basso continuo erheblich bei. Der Projektchor und das Gießener Kammermusiker spannten, souverän dirigiert von Koerber, runde melodische Bögen.
Inhaltlich rückt in dem Werk das Lob der göttlichen Dreieinigkeit in den Fokus. Die folgende Arie ist dem Gottessohn gewidmet. Bassist Tomi Wendt sang mit feinem religiösem Empfinden, die dezente Cello- und Truhenorgelbegleitung intensivierte die Stimmung noch. Dazu kontrastierte die Sopranarie durch die anspruchsvollere Instrumentierung mit dem emotional nahegehenden Dialog der Gesangsstimme mit Violine, Flöte und Cello. Sopranistin Gabriele Hierdeis sang makellos. Untermalt von einer anmutigen Oboenmelodie, meisterte Altistin Heike Keller die dritte Arie in klarer Linienführung, überdies angenehm im Timbre. Der klanglich brillante, weihevolle Schlusschor schlug den Bogen zum Beginn zurück.
Hörenswerte Kantate
Schon für sich genommen schien die Kantate hörenswert, noch interessanter machte die Sache indes das eingeschobene, einen modernen Gegenakzent setzende Werk »Dreiklang« (2011-12) von Matthias Drude. Basierend auf dem »poetischen Kommentar« Carola Moosbachs zur Kantate, erwies sich die Komposition als vielschichtige Reflexion. Analog zu Bach standen die Soli im Zentrum, umrahmt von zwei vom Ausdrucksgestus und Bewegungscharakter recht unterschiedlichen Chorteilen. Die Wesenseinheit Gottes spiegelte sich in Form dreier »poetischer Variationen« wider. Zum Ende hin wurde die Musik immer leiser, bis sie von ferne erlosch.
In eine kammermusikalisch-schlichte Sphäre führten in der Lukaskirche drei unter Mitwirkung Bachs entstandene Lieder aus dem »Musikalischen Gesang-Buch« von Georg Christian Schemelli über die Liebe zu Jesus. Auch bei diesem Konzert kam der Kontrastaspekt zum Tragen: Sopranistin Gabriele Hierdeis sowie Pianistin und Organistin Marina Sagorski stellten Bach zwei zeitlose Eleganz verströmende Kompositionen Arnold Schönbergs gegenüber: das frühe tonale Lied »Schenk mir deinen goldenen Kamm« auf ein Gedicht von Richard Dehmel sowie das Lied »Entrückung«, eine Bearbeitung Alban Bergs des letzten Satzes aus dem zweiten Streichquartett.
Das Frankfurter Saxofonquartett ParaVos - Sarah Mehlhart, Miriam Brause, Andreas Scheer und Veronika Hanrath - bot derweil in der Pankratiuskapelle unter anderem mit dem Lied »Bist du mir« aus dem »2. Notenbüchlein für Anna Magdalena Bach« eine zeitgemäße Adaption von John Mills, zauberte dabei eine wunderbar warme Farbpalette. Viel Raum zur geistigen Sammlung bot den Hörern das durch mannigfaltige Schattierungen bestechende Arrangement der Passacaglia BWV 582.
Beim letzten Konzert in der Johanneskirche schloss sich der Kreis. Der von Instrumentalisten begleitete Kammerchor Voconsort trug unter Leitung von Cordula Scobel beispielsweise Heinrich Schütz‹ Psalmvertonung »Jauchzet dem Herrn« transparent und mit guter Textverständlichkeit vor. Mit Bachs Motette »Der Geist hilft unser Schwachheit auf« wurde eine aktuelle musikalische Auseinandersetzung des erst vor zwei Wochen verstorbenen schwedischen Komponisten Sven-David Sandström verknüpft. Am meisten berührten Amy Beachs »Peace I leave with you« und Josef Gabriel Rheinbergers »Abendlied«, derart subtil mutete die Interpretation des Kammerchors an. Angesichts der überaus positiven Publikumsresonanz ruft das stimmige Konzept der Konzertnacht nach baldiger Fortsetzung.