29. Oktober 2021, 21:29 Uhr

Amir N. darf bleiben

29. Oktober 2021, 21:29 Uhr
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Aus der Redaktion
Amir N. (l.) hat bei der Firma Reifen Brod GmbH in Lauterbach seine Ausbildung starten können. Ausbilderin Sandra Wolf freut sich darüber. FOTO: PM

Vogelsbergkreis (pm). Initiativen, Vereine und Ehrenamtliche unterstützen geflüchtete Menschen bei ihrer Integration in Hessen, beraten und begleiten sie. So auch der Mittelhessische Bildungsverband (MBV) in Marburg und der Hessische Flüchtlingsrat in Frankfurt (hfr). Gleichzeitig würden immer wieder gut integrierte und berufstätige geflüchtete Menschen in ihre Heimatländer abgeschoben.

Durch Corona wurde zwar im letzten Jahr weniger abgeschoben als in den Vorjahren, das hat sich aber mittlerweile geändert. Während viele Behörden weiterhin nur eingeschränkt arbeiten, wurde mitten im zweiten Lockdown erstmals seit Jahrzehnten eine Abschiebung nach Somalia durchgeführt.

Spielräume würden nicht genutzt

Bis Juli habe sich Hessen auch regelmäßig an den Sammelchartern nach Afghanistan beteiligt, selbst als schon absehbar war, dass die Taliban das Land übernehmen würden. »Außerdem werden immer wieder Menschen abgeschoben, die schon viele Jahre in Deutschland leben und arbeiten oder sogar hier geboren wurden«, so Timmo Scherenberg vom Flüchtlingsrat. »Auch erleben wir sehr oft, dass immer mehr Geduldeten die Arbeitserlaubnis entzogen wird. Mögliche Spielräume, um Bleibeperspektiven durch Arbeit zu schaffen, werden nicht genutzt oder konterkariert«, so Scherenberg.

Omar F. sei trotz jahrelanger Berufstätigkeit in einem Recyclingunternehmen im Februar diesen Jahres nach Somalia abgeschoben worden. Sein Chef Manuel Götz, Betriebsstättenleiter des Unternehmens, konnte das nicht verstehen: »Dass ein fleißiger Steuerzahler, der nicht kriminell ist und dem Land nur Vorteile bringt, nicht willkommen sein soll, will mir nicht in den Kopf. Da hätte ein Gespräch über zwei Minuten gereicht, um zu merken, dass hier ein sehr großer Fehler gemacht wird.« Um Omar F. zurückzuholen, bot er sogar an, die Flugkosten zu übernehmen. Doch auch diese Bemühungen änderten nichts, Omar F. darf nicht zurück nach Deutschland. »Besonders skandalös daran ist, dass er kurz vor einem dauerhaften Bleiberecht in Deutschland stand«, sagt Scherenberg. Amir N. aus dem Iran hatte seit September 2020 über ein Praktikum seinen Arbeitgeber Reifen Brod GmbH in Lauterbach so überzeugen können, dass dieser ihm eine Ausbildung anbot. Amir hatte aber zu dem Zeitpunkt keine Arbeitserlaubnis, da er keinen Pass vorweisen konnte. Er lebte mit einer Duldung in Deutschland und war potenziell ausreisepflichtig, konnte also jederzeit abgeschoben werden.

Jana Borusko, Beraterin beim hfr, verfasste eine Petition beim Landtag, um ihn vorübergehend vor der Abschiebung zu schützen. »Ich hatte große Angst vor Abschiebung, vor dem Ungewissen. Ich wusste nicht, wie meine Zukunft aussehen wird«, beschreibt Amir N. seine Situation in den vergangenen Monaten. Obwohl das Arbeitsverbot noch im Weg stand, hielt der Betrieb an seinem Vorhaben fest, Amir einzustellen, und wartet nun schon fast ein Jahr auf den zukünftigen Auszubildenden.

Schwierige Suche nach Mitarbeitern

Ausbilderin Sandra Wolf erklärt: « Es ist schwer, geeignete Mitarbeitende zu finden. Wir hatten gute Unterstützung von verschiedenen Seiten und wussten immer, was der aktuelle Stand ist. Das war sehr gut für uns, wir hatten schließlich nichts zu verlieren. Wir wollten Amir helfen, damit er hier bleiben und bei uns arbeiten kann.«

Mit einer Ausbildung bei Reifen Brod wäre Amir N. über die sogenannte Ausbildungsduldung vor Abschiebung geschützt. Für die benötigte Arbeitserlaubnis ist der Pass als Identitätsnachweis nötig. Dies ist jedoch häufig kompliziert bis unmöglich und kann auch für die Betroffenen gefährlich werden. Vor diesem Dilemma stand Amir N., der mithilfe von Jana Borusko und einer Rechtsanwältin die Ausländerbehörde überzeugen konnte, nach der Passbeantragung sowohl die Arbeitserlaubnis als auch die Ausbildungsduldung auszustellen. Vor Kurzem hat er die Ausbildung zum KFZ-Mechatroniker beginnen können. Damit ist für Amir N. und seinen Betrieb (Planungs-)Sicherheit geschaffen.



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