Die Angeklagte wurde im November bei der Räumung des Baumhauscamps »Nirgendwo« im Dannenröder Wald festgenommen und sitzt seitdem im Gefängnis, auch deshalb, weil sie sich beharrlich weigert, ihre Personalien anzugeben. Zu ihrer Herkunft und Identität ist nichts bekannt, ein bislang einmaliger Fall, wie es aus Ermittlerkreisen heißt. In diesem Fall bestehe die Gefahr, dass sie nach einer Haftentlassung untertaucht, begründete Oberstaatsanwältin Ute Seelbach-Schellenberg die fortwährende Haft in Frankfurt. Die Englisch sprechende Angeklagte nennt sich »Ella« und bezeichnet sich als Öko-Aktivistin. Sie soll laut Anklage bei der Räumung des Baumbesetzercamps zwei Polizisten verletzt haben.
Die geschätzte Mittzwanzigerin, die Englisch spricht, habe zudem billigend in Kauf genommen, dass die Polizisten abstürzen und zu Tode kommen. Der Vorwurf eines vorsätzlichen Tötungsdeliktes wurde inzwischen jedoch zurückgenommen.
Ein SEK-Beamter aus Köln hatte am 26. November versucht, die Frau aus 15 Metern Höhe auf den Boden zu holen. Sie hatte sich mit Karabinern und Schlingen an einem Seil zwischen zwei Bäumen befestigt. Während des Einsatzes habe sie Öl und Urin auf den Mann geschüttet. Anschließend habe sie dem Polizisten mit Wanderstiefeln ins Gesicht und gegen den Kopf getreten, der Mann wurde an der Schulter verletzt. Als er sie ergriff, habe sie ihn weiter mit Tritten und Schlägen traktiert. Ein zweiter Beamter stieg auf den Baum und sei von der Angeklagten mit dem Knie im Gesicht verletzt worden.
Die Angeklagte wollte vor dem Richter zu ihrer Identität weiterhin keine Angabe machen, eine Stellungnahme zu den Vorwürfen lehnte sie ebenfalls ab. Sie gab stattdessen eine längere politische Erklärung ab. Darin sieht sie die Menschheit an einem »Wendepunkt der Geschichte«. Als Gemeinschaft im Dannenröder Forst habe man nicht für eine Welt stehen wollen, die »im Ungleichgewicht ist«. Stattdessen habe man die Umweltzerstörung unterbrechen wollen. »Wir nehmen einen alarmistischen Standpunkt ein, tun das aber aus Liebe zur Natur.« Rechtsanwalt Tronje Döhmer nannte das Vorgehen der Polizei unverhältnismäßig und nicht rechtmäßig. Laut Döhmer hätte man die Frau mit einem bereitstehenden Hubwagen sicher zu Boden bringen können. Bei ihrem Klettereinsatz hätten sich die Polizisten selbst gefährdet. Hier seien der leitenden Behörde ein bedingter Vorsatz sowie Verdunkelungsgefahr zu unterstellen. Mehrfach seien Aktivisten bei Polizeieinsätzen abgestürzt und verletzt worden. Die Frau habe alle Mühe gehabt, sich in der Höhe selbst zu sichern, und dadurch keine Möglichkeit gehabt, die Beamten mit Tritten zu traktieren.
Lange Haft sei unverhältnismäßig
Ausführlich ging Döhmer auf Details des Einsatzes rund um Klettertechnik und Hilfsmittel ein. So ging es um die Belastbarkeit von Karabinern oder von Astgabeln, um Umlenkpunkte am Baum oder die korrekte Sicherung am Traversenseil. Sein Fazit: Die Reaktion der Frau sei eine »instinktive Abwehr des unsachgemäßen Vorgehens der Polizisten« gewesen, eine vorsätzliche Gefährdung der Beamten sei nicht zu erkennen. »Es war auf keinen Fall nötig, Menschen diesen Gefahren auszusetzen.«
Döhmer stellte auch den Antrag, dass die Angeklagte nicht mehr vor Gericht erscheinen muss. Die Fortdauer der schon sechs Monate währenden Haft sei völlig unverhältnismäßig. Es gehe offenbar nur darum, die Frau zu zwingen, ihre Identität preiszugeben. Die Staatsanwältin wandte dagegen ein, dass auf jede einzelne der Taten schon eine Mindeststrafe von sechs Monaten stehe. Richter Dr. Bernd Süß wies den Antrag ab, die Frau bleibt in Haft. Zu Beginn der Verhandlung hatte Döhmer Beschwerde dagegen eingelegt, dass zwei sogenannte Laienverteidiger nicht zugelassen wurden, darunter der in Mittelhessen bekannte Jörg Bergstedt (Projektwerkstatt Saasen). Richter Süß sah keinen Anlass, die beiden als Beistand der Angeklagten zuzulassen, es gebe »erhebliche Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit«.
Staatsanwältin Ute Seelbach-Schellenberg sah eine Taktik, das Verfahren zu verzögern und den ordnungsgemäßen Ablauf zu stören. »Offenbar soll es hier mehr um die politische Bühne gehen als um das Recht der Angeklagten.« Beide Personen durften als Beobachter bleiben, die allgemeine Öffentlichkeit wurde damit auf vier Plätze beschränkt, da die Verhandlung unter Pandemiebedingungen ohnehin nicht einfach sei. Der Prozess geht im Juni weiter. Vor dem Amtsgericht protestierten während des ersten Verhandlungstags rund 50 Personen unter dem Motto »Klimaschutz ist kein Verbrechen.«