05. Mai 2021, 21:50 Uhr

Dorfkirche wird verkauft

Leere Kirchenbänke, aber hohe Kosten: Immer häufiger werden Gotteshäuser zu einer Belastung für die Gemeinden. Im evangelischen Dekanat Alsfeld wird jetzt erstmals eine Kirche verkauft, die im Gemündener Stadtteil Otterbach. Gottesdienste werden bald im Gemeinschaftshaus gehalten. Pfarrerin Ursula Kadelka und Dekanin Dorette Seibert sehen auch »Chancen.«
05. Mai 2021, 21:50 Uhr
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Aus der Redaktion
Die Kirche in Gemünden-Otterbach wird an einen Privatmann verkauft. Gottesdienste sollen künftig im Dorfgemeinschaftshaus stattfinden. FOTO: PM

Die Kirche im Dorf lassen, Kirchturmdenken, Heimweh, wenn man den eigenen Kirchturm nicht sieht. Redewendungen drücken aus, dass die Kirche zentrales Element im Leben von Menschen ist, häufig sogar, wenn diese nicht sonderlich religiös sind. Nun wird im evangelischen Dekanat Vogelsberg erstmals eine Kirche verkauft, die Kirche von Otterbach. Der Kirchenvorstand der evangelischen Katharinengemeinde Gemünden hat eine unbeliebte Entscheidung getroffen. Eine Entscheidung, an der angesichts der demografischen und wirtschaftlichen Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft kein Weg vorbeiführt, so Pfarrerin Ursula Kadelka.

»Der Beschluss ist mutig, verantwortungsbewusst und zukunftsgewandt«, so Kadelka, die in ihrer Kirchengemeinde neben der Otterbacher Kirche noch fünf weitere Gotteshäuser zählt: in Nieder-Gemünden, Burg-Gemünden, Hainbach, Elpenrod und Bleidenrod stehen Kirchen, dazukommen das Gemeindehaus in Nieder-Gemünden und ein angemietetes Gemeindehaus in Burg-Gemünden. Für dieses wurde der Mietvertrag gekündigt, die Chorproben werden - sobald sie wieder möglich sind - ins Gemeindehaus nach Nieder-Gemünden verlegt.

»Als Kirchengemeinden müssen wir für alle Gebäude, die in unserem Besitz sind, Substanzerhaltungsrücklagen in den Haushalt einstellen, und dennoch würden uns mögliche Renovierungsmaßnahmen vor größte Probleme stellen - zumal bei dieser Anzahl an Gebäuden«, begründet Kadelka den Schritt. Dass es die Otterbacher Kirche trifft, hat verschiedene Gründe: Als im Jahr 1834 umgebautes und umgewidmetes Schulhaus handelt es sich nicht um das klassische Kirchengebäude.

Mit gerade 40 Gemeindegliedern in Otterbach kann auch quantitativ argumentiert werden und nicht zuletzt gibt es einen Käufer. »Dabei war es uns ein Anliegen, dass das Gebäude einer vertretbaren Nutzung zugeführt wird und für die Otterbacher erhalten bleibt«, so Kadelka: Es bleibt an seinem Ort und die Glocken werden weiter von dort aus über das Dorf schallen.

»Natürlich sind wir alle traurig, dass wir uns nun tatsächlich von einer Kirche trennen«, das weiß die Pfarrerin auch aus Gesprächen mit Gemeindegliedern. »Es fiel uns allen schwer, aber wir müssen uns den Realitäten stellen.«

Die Kirchengemeinde habe in den letzten 14 Jahren bereits zwei halbe Pfarrstellen eingebüßt. Die Anzahl der Menschen hat sich in den letzten 25 Jahren halbiert, eine Entwicklung, von der erwartet wird, dass sie so weitergeht. Die Antwort ist: »Loslassen, um unsere Zukunft im wahrsten Sinne des Wortes nicht zu verbauen«, so das Credo der Pfarrerin, die nicht daran glaubt, dass dieser Verkauf der letzte sein wird: »Im Rahmen des Gebäudestrukturmanagements der EKHN kommen in den nächsten Jahren alle Gebäude auf den Prüfstand, Gemeinde- und Pfarrhäuser natürlich eher als Kirchen.«

Gottesdienste im Gemeinschaftshaus

Dekanin Dorette Seibert: »Wenn die Unterhaltung eines kirchlichen Gebäudes hauptsächlich eine finanzielle Last für eine Gemeinde bedeutet, dann ist es die richtige Frage, ob sich das Gemeindeleben vor Ort und mit der Nachbarschaft nicht lebendiger gestalten lässt - ohne dieses Gebäude und die Ressourcen, die es bindet. Diese Frage werden sich unsere kleiner werdenden Gemeinden alle stellen müssen«. Dass die Katharinengemeinde realistisch ihren Gebäudebestand unter die Lupe genommen hat und zum Ergebnis gekommen ist, sich von der Kirche in Otterbach zu trennen, finde sie mutig »Schließlich soll es uns nicht vorrangig um ›tote Steine‹ gehen, sondern um den lebendigen Bau, der Kirche eigentlich ist.« Doch nicht nur wirtschaftliche Gründe führten zum Verkauf der Kirche.

Schon längst sei es einer einzigen Pfarrperson nicht mehr möglich, an einem Sonntag alle sechs Gottesdienstorte zu betreuen, die Frage sei auch, wie sinnvoll es ist, da Gottesdienstbesuche mehr und mehr zurückgegangen sind. Kooperationen finden jetzt schon statt: »Wir stellen fest, dass Gottesdienste, die wir aufwendiger planen und mit mehr Menschen durchführen, ansprechender sind.«

Nichtsdestotrotz werden in Otterbach noch Gottesdienste stattfinden: im Dorfgemeinschaftshaus. »Und wenn man dann nicht mehr in dem zugigen alten Gebäude sitzt, eine Toilette in der Nähe hat und sogar eine kleine Küche, von wo aus man nach dem Gottesdienst auch mal einen Imbiss anbieten kann, dann ist das auch ein Gewinn«, finden Pfarrerin und Gemeinde. Trotz dieser Aussichten steht erst mal die Trauer im Vordergrund. Dennoch gelte, wie Kadelka betont: »Wir haben keine heiligen Räume. Dazu werden Gebäude erst, wenn wir in ihnen Gottesdienst feiern.«

Die Kirche in Otterbach wird zum 1. Juli dieses Jahres umgewidmet. In einem Abschiedsgottesdienst am 23. Mai um 14 Uhr können die Gemeindeglieder zuvor noch einmal gemeinsam feiern.



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