Um die Zukunft der Kirche im Vogelsberg ging es dieser Tage, als das evangelische Dekanat Vogelsberg alle Haupt- und Ehrenamtlichen und alle anderen an Kirche interessierte Menschen zu einer ersten Workshopsynode nach Lauterbach eingeladen hatte. »Glaube. Leben. Zukunft.« lautete das Motto des Tages, zu dem Sylvia Bräuning, Vorsitzende des Dekanatssynodalvorstandes (DSV), und Ralf Müller, Referent für Bildung und Ökumene im Dekanat, die mehr als hundert Mitwirkenden und Gäste begrüßten.
Die Kirche befinde sich in einem tiefgreifenden Prozess. Nicht nur die Mitgliederzahlen sinken und damit auch die Einnahmen für die Institution Kirche, auch die Anzahl der Pfarrerinnen und Pfarrer sinkt. Den Babyboomern, die nun bald in den Ruhestand gehen, folgt eine erheblich kleinere Anzahl an Theologen nach. Im Vogelsberg wird diese Entwicklung bis zum Jahresende Vakanzen bei 25 Prozent aller Pfarrstellen bedeuten. Was also tun?
Bewährtes taugt nicht mehr
»Prüft alles und das Beste behaltet!« Diesen Rat des Paulus an die Thessalonicher übertrug Propst Matthias Schmidt in seinem »Wort zum Tage« auf die gegenwärtige Situation. Dabei war ihm klar, dass man die bisher geleistete gute Arbeit der Kirchengemeinden nicht abwerten dürfe.
Dennoch: »Das Bewährte funktioniert nicht mehr«, so Schmidts Feststellung. Das sei schmerzhaft, zumal man am Vertrauten, Bewährten hänge. Er ermunterte die Anwesenden: »Wir wollen miteinander Kirche in der Region gestalten.« Für den Impulsvortrag des Tages hatte Ralf Müller mit Andreas Schlamm (Evangelische Arbeitsstelle für missionarische Kirchenentwicklung und diakonische Profilbildung (midi) einen ausgewiesenen Experten zum Thema Regionale Kirchenentwicklung gewinnen können. »Wie Gemeinden eine Kultur des Miteinanders einüben und kirchliche Biodiversität wächst« war sein Thema. Schlamm nahm die Gäste mit in die VUCA-Welt (Volatilität - Unsicherheit - Komplexität - Mehrdeutigkeit) und sprach über mentale Blockaden, den Vorteil von »regiolokal« gegenüber »regional« und plädierte für ein Denken über den Kirchturm hinaus. Mit der Kraft der Netzwerke könne die »Kirchliche Biodiversität« gestärkt werden und die Kirche für viele Menschen offener werden. Schlamms Credo: »Wandel statt Krise«. Dieser Wandel könne in einen »Kirchlichen Schengen-Raum« führen: Offen für Menschen aus allen Gemeinden und Gruppierungen.
Wie dieser Schengen-Raum oder, um es mit Ralf Müller und Sylvia Bräuning zu sagen, die evangelische Kleingartenkolonie im Dekanat auf vielen Ebenen gestaltet werden kann, dazu konnten sich die Teilnehmer im Lauf des Tages austauschen. Wie man aus vier eine Gemeinde macht, stellte Pfarrer Thomas Peters aus Stadtallendorf vor.
Mit Andreas Schlamm machte sich ein weiterer Workshop auf die Suche nach geistlichen Ressourcen: Wo tanken Beteiligte in einem Veränderungsprozess auf? Was hilft mitten im Sturm? Über die Relevanz eines Wertegerüsts im Wirtschaftsleben sprach der Unternehmen Alexander Klein mit den Workshop-Besuchern. Hier rückten auch soziale Berufe in den Mittelpunkt der Betrachtungen.
Bedeutung der Diakonie
»Nachbarschaftsräume ökumenisch gestalten« war der Ansatz in einem weiteren Workshop, zu dem Hedwig Kluth und Michael Krummeich von der katholischen Kirche eingeladen waren. Gemeinsam mit den Mitwirkenden diskutierten sie Möglichkeiten und auch Grenzen von mehr Ökumene in der Region.
Kirche und Diakonie müssen gemeinsam in die Zukunft gehen - unter diesem Aspekt sprachen Christoff Jung von der Regionalen Diakonie Hessen-Nassau und Fred Weißing vom Diakonischen Werk Vogelsberg mit den Gästen. Hier ging es unter anderem darum, die Relevanz der Diakonie für viele Bereiche des gesellschaftlichen Lebens herauszustellen und kirchliche Beratungs- und Unterstützungsangebote in den Fokus zu rücken.
Ein weiterer Workshop mit Holger Schäddel und Antje Borgerding vom evangelischen Dekanat widmete sich der Frage, wie Kirchengemeinden mit dem Umfeld, also im Sozialraum, kooperieren können. In vielen Einrichtungen - Altenheimen, Schulen, Kitas - funktioniert das jetzt schon ganz selbstverständlich. Diese und andere Beispiele könnten durchaus Schule für mehr sozialräumliches Arbeiten machen. »Kirche mit anderen« - der Workshop mit Dr. Steffen Bauer bezog sich auf die Einbindung Ehrenamtlicher in die Gemeindearbeit, die für die Anwesenden viel mehr ist als nur Gottesdienst, sondern bedeutet, auch Begegnungen außerhalb der Kirche zu schaffen. Mit gleich zwei Experten in Sachen Digitalisierung nahm die EKHN die Frage nach der »Digitalen Transformation der Kirche« wahr: Tobias Albers-Heinemann vom Zentrum Bildung und Annika Kaplan von der Stabsstelle Digitaler Wandel der Kirchenleitung sammelten viele Eindrücke der Kirchengemeinde, die diese in den letzten beiden Jahren zwangsläufig machten.
»Die Kirche bleibt im Dorf!« Ein vielgehörter Wunsch in den Kirchengemeinden, verständlich noch dazu. Sie überlegten aber bereits sehr kreativ, wie man mit weniger, aber anderen Gottesdiensten, wieder mehr Menschen anspricht und vielleicht sogar begeistert.