In Nieder-Mörlen weht ein rauer Wind, bläst Politikern ins Gesicht, die offen für die Bebauung der Friedhoferweiterungsfläche eintreten. »Es gibt heftige Angriffe gegen Stadtverordnete. Ein Mitglied unserer Fraktion nimmt aufgrund massiver Anfeindungen heute nicht teil«, sagte CDU-Fraktionschef Manfred Jordis zu Beginn der Debatte im Bauausschuss. Die Rede war vom ehemaligen Ortsvorsteher von Nieder-Mörlen, Albert Möbs (siehe weiteren Artikel).
Ohne darauf einzugehen, folgte ein Austausch bekannter Argumente. Die Projektgegner - Bürgermeister, UWG und FDP - befürchten die Zerstörung eines parkähnlichen Geländes. Sie sehen eine Überforderung der Infrastruktur Nieder-Mörlens voraus und eine fragwürdige Subventionierung mit Steuergeldern.
»Nieder-Mörlen braucht eine Verschnaufpause«, wies Markus Philipp (UWG) auf das neue Hempler-Wohngebiet hin. Folge direkt das nächste Vorhaben mit 55 Einheiten, würden Grundschule, Kitas und Sporthallen überlastet. Philipps Fraktionskollege Bernd Witzel prognostizierte die Verschärfung von Verkehrsproblemen.
Kreß sorgt sich um Stadt-Charakter
Bürgermeister Klaus Kreß argumentierte vehement gegen die Pläne. »Für Menschen aus Nieder-Mörlen ist das Projekt nicht sinnvoll«, betonte er. Die Subventionierung der Mietwohnungen bezifferte Kreß mit 38 000 Euro pro Einheit. Werde dieser Kurs beibehalten, müsse die Stadt wichtige Investitionen streichen. Er warnte vor mehr Geschosswohnungsbau. Kreß will keine Entwicklung wie in Friedberg und Butzbach. »Denken Sie an Identität und Charakter der Kurstadt.«
Manfred Schneider (FDP) kommentierte den von der Bürgerinitiative kanalisierten Protest. »Ich bin seit 30 Jahren in der Politik und habe noch nie so viel Widerstand gegen ein Baugebiet erlebt«, verwies der Liberale auf die rund 1500 Unterschriften, die von der BI gesammelt worden sind.
Stadtverordnete von CDU, SPD und Grünen, die für die Bebauung sind, führten Wohnungsknappheit und Mietpreis-Anstieg an. »Dagegen muss in der Region etwas getan werden. Bad Nauheim darf sich nicht ausklinken«, unterstrich Dr. Mathias Müller (Grüne). Den Erholungswert des Geländes stuft Müller als gering ein. Er sei regelmäßig in dem Park, sehe dort aber so gut wie nie jemanden. »Alarmismus hilft der Sache nicht«, sagte Müller mit Blick auf die zahlreich erschienenen Gegner des Bauprojekts.
Kritik an Sonntagsreden
Eine einseitige Förderung von Wohneigentum sieht SPD-Sprecher Georg Küster. Die Bevölkerungszahl sei in den letzten 15 Jahren um 1500 gestiegen. Laut Küster ist dieses Wachstum ausschließlich auf den Bau von Einfamilienhäusern und Eigentumswohnungen zurückzuführen.
CDU-Vertreter kritisierten die Haltung der Projektgegner. »Es ist unverständlich, wenn Leute, die gerade am Hempler gebaut haben, gegen die Ausweisung des neuen Gebiets sind«, sagte Fraktionschef Jordis. Unbegründet sei die BI-Aussage, die »letzte grüne Oase« werde zerstört. Von jedem Punkt Nieder-Mörlens aus dauere es zu Fuß nur fünf Minuten bis ins Grüne. Zwischenrufe aus dem Publikum erntete Jordis für den Satz, die BI arbeite mit Falschinformationen. So sei eine Überlastung der Grundschule nicht zu befürchten. Der CDU-Politiker berichtete von Freunden aus der Mittelschicht, die wegen der hohen Mieten keine Familie gründeten. Die Politik müsse handeln. »Sonntagsreden über bezahlbaren Wohnraum bringen uns nichts.«
Knappe Mehrheit dafür
Jordis’ Fraktionskollege Fokke Fokken warnte vor einem Auseinanderfallen der Gesellschaft. »Wir dürfen nicht nach dem Motto handeln, wir sitzen im Zug, andere sollen draußen bleiben.« Wer hier arbeite, müsse sich in Bad Nauheim eine Wohnung leisten können. Fokken: »Der Bürgermeister will nur Leute mit bestimmtem Einkommen.«
Das Abstimmungsergebnis entsprach der Diskussion. Mit ihrer 6:4-Mehrheit stießen CDU, SPD und Grüne gegen den Widerstand von UWG und FDP die Wohnbauentwicklung an. Das letzte Wort hat das Parlament.
BI-Sprecherin Anne Schneider reagierte enttäuscht auf das Resultat, hatte es allerdings erwartet. 85 Prozent der Nieder-Mörlener seien gegen das Projekt, behauptete sie. »Die Meinung der Bürger wird von der Politik aber nicht beachtet und respektiert«, sagte Schneider. Die BI hofft im Parlament auf ein anderes Abstimmungsergebnis.
Möbs: Keine Lust auf Buhmann-Rolle
Lange Jahre hat sich Albert Möbs als Ortsvorsteher für Nieder-Mörlen engagiert. Jetzt ist der CDU-Vertreter enttäuscht vom Verhalten einiger Bürger. »Leute, mit denen ich immer guten Kontakt hatte, schneiden mich. Auch meine Frau ist betroffen.« Aufgrund »persönlicher Anfeindungen« durch Gegner des Bauprojekts am Friedhof sei er nicht zur Sitzung erschienen, habe sich vertreten lassen. Weiterer Grund: Der Christdemokrat wollte zeigen, dass er die Pläne nicht quasi im Alleingang vorantreibe, sie vielmehr von einer Mehrheit getragen würden. Möbs: »In Nieder-Mörlen ist ein falscher Eindruck entstanden, weil ich damals den CDU-Antrag begründet habe.«
Der BI mangele es an Argumenten, sie ziehe die Auseinandersetzung deshalb auf eine persönliche Ebene. »Sachliche Diskussionen sind nicht möglich, wenn etwa behauptet wird, ich und die CDU wollten am Friedhof billigen Wohnraum für ›Gesocks‹ schaffen.« Der Ex-Ortsvorsteher fühlt sich als unfair behandelter Buhmann, hat keine Lust mehr, so weiterzumachen.
Vorwürfe in Richtung UWG
Die demokratische Streitkultur sieht Möbs in Gefahr. Hinzu komme die Haltung der BI-Mitglieder, die nur Partikularinteressen verfolgten und keine Rücksicht auf Wünsche der Stadt-Gemeinschaft nähmen.
An Anfeindungen beteiligt sich laut Möbs auch die UWG. Der Ortsvorsteher habe während der Herbstpause kurzfristig ohne Absprache eine Ortsbeiratssitzung anberaumt, CDU und SPD seien deshalb nicht vertreten gewesen. »Ich war im Urlaub«, sagt Möbs. Trotzdem komme aus UWG-Reihen der Vorwurf, die Union habe sich gedrückt. Noch empörter ist Möbs über den Vorwurf, er selbst horte Grundstücke im Hempler-Baugebiet, um hohe Gewinne bem Verkauf zu machen. »Mir gehören dort zwei noch unbebaute Grundstücke, die als Altersvorsorge dienen.« Er halte sich an Recht und Gesetz, auch wenn Freie Wähler sein Verhalten in einem schlechten Licht erscheinen lassen wollten.