26. November 2017, 18:00 Uhr

Hochsensible Menschen

Hochsensible Menschen: Von allem etwas mehr

Es gibt Menschen, die jedes Wort auf die Goldwaage legen. Manuela Schmid ist ein Coach für solche Hochsensiblen. Sie betont: Das ist kein Makel, sondern sollte als Gabe angenommen werden.
26. November 2017, 18:00 Uhr
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Von Dagmar Bertram
Hochsensible Menschen können bisweilen von optischen und akustischen Reizen überflutet werden. Der Friedberger Coach Manuela Schmid hat Tipps, wie mit Hochsensibilität umzugehen ist – für Betroffene wie für Freunde und Kollegen. (Symbolfoto: dpa) (Foto: Kimimasa Mayama (epa))

Jeder kennt sie: Menschen, die jedes Wort auf die Goldwaage legen, Nächte lang über Konflikte nachdenken, daran verzweifeln können. Das hat einen einfachen Grund, sagt Manuela Schmid. Denn diese Menschen gehören zu den Hochsensiblen. Der Friedberger Coach betont: Das ist kein Makel, sondern sollte als Gabe angenommen werden.

Hochsensibilität ist ein recht neuer Begriff. Was steckt dahinter?

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Manuela Schmid. (Foto: pv)

Manuela Schmid: Es gibt Menschen, die empfindsamer sind als andere. Sie haben von Geburt an ein empfindsames Nervensystem und deswegen eine hohe soziale, emotionale und physische Sensitivität. Die amerikanische Psychologin Elaine Aron hat in den 90er Jahren in einer Studie festgestellt, dass es Menschen gibt, die mehr Informationen aufnehmen und diese intensiver empfinden. Auch mit der Magnetresonanztomografie wurden eindeutige Unterschiede in der Art der Reizverarbeitung im Gehirn nachgewiesen. Hochsensibilität ist eine Normvariante in der Persönlichkeit, keine Krankheit.

Wie weit verbreitet ist das Phänomen?

Schmid: Man geht davon aus, dass etwa 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung, Frauen wie Männer und unabhängig von der ethnischen Herkunft, hochsensibel sind. Unter zehn Menschen sind also zwei hochsensibel.

Lassen Sie Sätze wie ›Nimm dir nicht alles so zu Herzen!‹

Manuela Schmid

Wie äußert sich Hochsensibilität konkret?

Schmid: Stellen Sie sich vor, Sie rüsteten Ihre Antennen auf mehr Empfang um. Der Straßenlärm, die Düfte Ihrer Umgebung, der Geschmack Ihres Essens drängen intensiver in Sie ein. Die Schönheit der Natur, Filme und Musik würden Sie teilweise überwältigen. Die Stimmungen anderer Menschen blieben Ihnen nicht verborgen und bewegten Sie extrem. Sie hätten von allem etwas mehr und erlebten eine Informationsflut. Das passiert bei hochsensiblen Menschen.

Kann das im Alltag zu Problemen führen?

Schmid: Ja. Wer viele Informationen verarbeiteten muss, verbraucht viel Energie. Deshalb fühlen sich Hochsensible schnell überbeansprucht und erschöpft. Vor allem im Beruf kann es zu Problemen kommen. Die vielen akustischen und optischen Reize, die Geräuschkulisse im Großraumbüro, der immense Zeitdruck, kaum ausreichende Pausen. Die Folgen können Rücken- und Nackenverspannungen, Migräne, Reizdarm sein. Auch grübeln Hochsensible über Situationen und Menschen lang anhaltend. Leider sind die Selbstzweifel oft groß. Wer als Kind schon zu hören bekam: »Stell dich nicht so an!«, hat verlernt, sich selbst zu vertrauen. Das ist ein Grund, warum vielen von ihnen Nein sagen und Entscheidungen treffen schwerfallen.

Die Düfte Ihrer Umgebung, der Geschmack Ihres Essens und Trinkens dringen intensiver in Sie ein

Manuela Schmid

Wie gehen Betroffene am besten damit um, welche Hilfen gibt es?

Schmid: Achten Sie auf ihre Berufs- und Arbeitsfähigkeit. Legen Sie rechtzeitig Pausen ein. Lernen Sie, die Signale Ihres Körpers zu verstehen. Ganz wichtig: Akzeptieren Sie Ihre Persönlichkeit. Bewegung in der Natur und auch Achtsamkeitsübungen, wie Yoga, Meditation oder die Klopftechnik PEP, reduzieren durch Überstimulation entstandenen Stress. Unerlässlich ist auch die Überlegung, woher der Dauerstress kommt und wie er nachhaltig reduziert werden kann.

Hat es auch Vorteile, wahrnehmungsstark zu sein?

Schmid: Ja, unbedingt! Im asiatischen Raum zum Beispiel ist Hochsensibilität eine angesehene Eigenschaft. Solche Menschen haben eine rasche Auffassungsgabe und ein breites Interessensspektrum. Sie vereinen oft viele Talente in sich. Sie sind sehr kreativ und oft Musiker oder Künstler. Sie besitzen die besten Voraussetzungen als Führungskräfte. Ihre hohe emotionale Intelligenz lässt sie hervorragende Zuhörer sein. Zudem haben sie eine hohe Lösungskompetenz, da sie viele Informationen sammeln. Aufgaben übernehmen sie sehr gewissenhaft, und sie sind sehr loyale Menschen mit ethischen Werten.

Haben Sie Tipps für Freunde, Kollegen, Verwandte?

Schmid: Schätzen Sie die Persönlichkeit Ihres Gegenübers. Lassen Sie Sätze wie »Nimm dir nicht alles so zu Herzen!« Suchen Sie lieber gemeinsam nach konstruktiven Lösungswegen. Entdecken und ergänzen Sie Ihre kleinen Wesensunterschiede.

Was raten Sie Eltern, die vermuten, dass ihr Kind hochsensibel ist?

Schmid: Nehmen Sie Ihr Kind an, wie es ist. Härten Sie es nicht ab. Machen Sie sich im Thema schlau; es gibt gute Lektüre. Ab einem gewissen Alter können Sie gemeinsam mit Ihrem Kind überlegen, was es braucht oder lieber weglassen sollte, damit es lernt, sich vor Reizüberflutung zu schützen. Terminkalender sollten nie überfüllt sein.

Info

Gesprächsrunde am 4. Dezember

Manuela Schmid (46) ist Coach und Beraterin, Mutter von drei Kindern und selbst hochsensibel. Seit 2010 begleitet die Friedbergerin hochsensible Menschen im Coaching und bietet auch Vorträge, Seminare und Workshops für Unternehmen zum Thema an. Schmid leitet bei der Familien-Bildungsstätte regelmäßig Gesprächsrunden über Hochsensibilität an, das nächste Mal am Montag, 4. Dezember, von 20 bis 22 Uhr. Anmeldung: Tel. 0 60 31/1 62 78 00, info@ev-familien-bildungsstaette.de. Auch Katja Sang, Fachreferentin für Familie und Systemische Beraterin aus Nidda, bietet bei der FBS Kurse zum Thema an. Bei der VHS spricht die Bad Nauheimerin Claudia Lange, die Coaching mit Kinesiologie und Hypnose durchführt, darüber.

 



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