Was treiben die zwei jungen Männer im Kurpark? Diese Frage mögen sich einige Bad Nauheimer in den letzten Tagen gestellt haben. Es kann Entwarnung gegeben werden: Carl-Philipp Möll und David Gips sind zwei Geologiestudenten der TU Darmstadt, die für eine Masterarbeit Daten über das Radonaufkommen im Kurpark sammeln. Ein Beispiel: Zwischen Sprudelhof und Hotel Dolce rammen sie alle 15 bis 20 Meter eine Stange einen Meter tief in den Boden, führen dann eine Sonde ein, um festzustellen, wie viel Becquerel (Bq) Radon dort vorkommen. An mehreren Stellen im Park gehen Möll und Gips so vor. In Badehäusern und dem Eisstadion wird die Raumluft-Konzentration zusätzlich erfasst.
Das radioaktive Edelgas hat sich nämlich einen schlechten Ruf erworben, gilt als Auslöser für Lungenkrebs, wenn zu viel davon dauerhaft in Räumen vorhanden ist. Mit reißerischen Überschriften wie »Der Tod aus der Toilettenschüssel« oder »Krebsgefahr aus dem Keller« haben Zeitschriften darüber berichtet. Seit Ende 2018 gibt es ein Bundesgesetz: Wenn der Radonwert 300 Bq pro Kubikmeter Raumluft überschreitet, muss gegengesteuert werden, falls das mit vertretbarem Aufwand möglich ist.
Hessenweit 750 Messstellen
Um die Datengrundlage für Handlungsanweisungen auf Landesebene, die aus dem Gesetz resultieren, zu schaffen, sind derzeit auch Physiker Till Kuske (THM) und der Geologe Rouwen Lehné vom Hessischen Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG) in Bad Nauheim aktiv. Kuske ist Projektleiter an der Technischen Hochschule Mittelhessen für die Messkampagne im Rahmen der »Radonstrategie Hessen«, Lehné berät das THM-Team aus geologischer Sicht.
Im Auftrag des Umweltministeriums werden an 750 Orten Messstellen in Hessen zu verschiedenen Jahreszeiten Radonwerte im Boden ermittelt. Alle zehn Jahre soll eine Überprüfung der Resultate erfolgen. Die Masterarbeit der Studenten läuft parallel, ihre Ergebnisse fließen in die Gesamtbetrachtung der Lage in Bad Nauheim ein. »Es geht nicht nur darum zu messen, die Resultate müssen auch wissenschaftlich korrekt interpretiert werden«, sagt Lehné.
Kaum Grund zur Besorgnis
Laut Kuske gibt es in Hessen keine ausreichenden Erkenntnisse über Radonvorkommen. »Wir brauchen eine rechtlich einwandfreie Basis. Aufgrund unserer Messresultate soll bis Ende 2019 eine Karte über die Konzentration in allen Landkreisen entstehen«, sagt der Physiker. Beim HLNUG rufen nach Aussage Lehnés öfter Bürger an, die sich über Gesundheitsgefahren durch Radon Gedanken machen. Grund zur Besorgnis dürfte es in Hessen nach bisher vorliegenden Erkenntnissen kaum geben.
Nur aus Südhessen und dem nordwestlichen Taunus liegen ältere Messergebnisse vor, die auf eine erhöhte Radonkonzentration hindeuten. »Bei Bedarf regelmäßig durchlüften oder in Kellern ohne Fenster eine Lüftungsanlage einbauen«, rät Kuske. In neuen Häusern wie im Baugebiet Bad Nauheim Süd, die in Wannen gebaut werden, bestehe keine Gefahr, dass das Edelgas in Räume eindringt. In alten Gebäuden steigt das Radon wie auch CO2 – etwa im Sprudelhof-Keller – durch kleine Öffnungen in der Bodenplatte auf. Höhere Werte können im Keller oder Erdgeschoss entstehen, nur in Ausnahmefällen auch in oberen Stockwerken.
Referenzwert: 300 Becquerel
Wie die Radonergebnisse in Bad Nauheim ausfallen werden, lässt sich derzeit nicht sagen, denn die beiden Studenten sind noch bis Ende Januar tätig. Auch die Konsequenzen, die das Land in ein paar Jahren aus der Messkampagne von Kuskes Team ziehen wird, sind unklar. Den im Bundesgesetz verankerten Referenzwert von 300 Becquerel hält Kuske für ausreichend, die Empfehlung des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) für zu restriktiv. Das BfS rät, bereits ab einer Konzentration von 100 Bq pro Kubikmeter Raumluft zu handeln.
»Sind die Referenzwerte zu niedrig, wären deutschlandweit Millionen von Arbeitsplätzen betroffen. Es muss abgewogen werden, was vernünftig und machbar ist. Sind Handlungsanweisungen zu hart, funktionieren sie nicht«, sagt der THM-Physiker. Werden die 300 Becquerel überschritten, hält auch er eine Gesundheitsvorsorge für notwendig. Wobei jedes Gebäude einzeln geprüft werden müsse.
Info
Zu hohe Radonkonzentration kann Lungenkrebs verursachen
Radon gilt als krebserregend. Von diesem Stoff gehen rund 40 Prozent der natürlichen radioaktiven Strahlung aus, die auf den Menschen einwirkt. Aufgrund von zwei epidemiologischen Studien des Helmholtz-Zentrums und der Uni München wird geschätzt, dass das Edelgas für 1900 von 37 000 Lungenkrebsfällen pro Jahr in Deutschland verantwortlich ist. Nach dem Rauchen soll Radonbelastung die zweithäufigste Ursache dieser Krebsart sein. Das Bundesamt für Strahlenschutz empfiehlt einen Referenzwert von 100 Becquerel (Bq) pro Kubikmeter Raumluft. Im Strahlenschutzgesetz von 2017 sind 300 Bq festgelegt. Bis Ende 2020 müssen bundesweit Radonvorsorgegebiete festgelegt werden, in denen dieser Wert überschritten wird. Nach bisherigen Erkenntnissen kommen die höchsten Radonwerte deutschlandweit im Erzgebirge (ehemaliges Uran-Abbaugebiet), im Alpenvorland, an der Ostseeküste sowie in Teilen anderer westdeutscher Bundesländer vor, darunter Hessen. Till Kuske (THM) und Rouwen Lehné warnen bezüglich der Gesundheitsgefahren vor Panikmache. Laut Kuske reicht in den allermeisten Gebäuden regelmäßiges Lüften. In Kellern ohne Fenster sollte eine Lüftungsanlage installiert werden, wenn die Radonkonzentration zu hoch sei. Eine solche Anlage wurde etwa in den Altbau des Max-Planck-Instituts in Bad Nauheim eingebaut. »Wer auf der sicheren Seite sein will, kann die Belastung selbst messen«, erläutert Physiker Kuske. Im Internet könnten Passivdosimeter bestellt werden. »Sie sollten drei Monate im Raum liegen und ermöglichen eine genaue Bestimmung.« Nach Auskunft des THM-Mitarbeiters kosten Dosimeter etwa 60 Euro (inklusive Auswertung). (bk)