. Bildungsarbeit mal anders: Mit einem Comedy-Abend wollten »Florstadt kulturell« und »BuntErLeben« einen neuen Ansatz bieten, sich mit Fremdenfeindlichkeit und Rassismus auseinanderzusetzen. Dafür hatten sie Idil Nuna Baydar mit ihrem Programm »Ghettolektuell« in den Saal Lux nach Nieder-Florstadt eingeladen. Der Samstagabend lief zwar anders als gedacht, war deshalb aber nicht weniger zielführend.
Idil Nuna Baydar war für die Demokratiekonferenz der »BuntErLeben«-Kommunen Echzell, Florstadt, Reichelsheim und Wölfersheim engagiert worden. Die Künstlerin sagt von sich, sie sei eine Waldorfschülerin auf Homöopathie, mit Migrations-Hintergründigkeit und Abi auf dem zweiten Bildungsweg, kurzum: der »Integrations-Albtraum Nummer 1«. Mit ihrem Programm »Ghettolektuell« sorgte sie schon in anderen hessischen Partnerschaften für Demokratie für Furore. Vorlaut, unhöflich und respektlos, aber auch witzig, tiefsinnig und ehrlich - so kommt ihre Figur »Jilet Ayse« daher. Sie sorgt in »Kanak-Sprache« für ein politisches Wachrütteln, macht deutlich, wie wichtig Demokratie für uns alle ist. Dabei fachsimpelt sie so gekonnt über die AfD und Nazis, dass sie bereits Morddrohungen erhalten hat - die Kehrseite der Medaille.
»Kanaken« und »Kartoffeln«
An dieser Stelle verschwimmen die Grenzen zwischen Idil Nuna Baydar und ihrer Figur »Jilet Ayse«. Überhaupt scheint sich die Künstlerin an diesem Abend an kein festes Konzept zu halten, spricht offen die Höhen und Tiefen ihres Lebens und ihrer Karriere an, die mit einem Youtube-Video begonnen hat. Spontan und sprachgewandt reagiert sie auf Eingaben aus dem Publikum, weil Silke, Alex oder Nils aus der dritten Reihe es wissen wollen. Sie schlürft aus einer silber-blauen Dose mit rosafarbenem Inhalt, den sie, wie sie sagt, heute mit Aspirin Complex kombiniert hat. Vielleicht liegt es daran, dass sie in Florstadt, dem »progressiven Nest«, so anders rüberkommt als anderswo: »Ich mache sonst nicht, was das Publikum will.«
Klar, sie spricht von besorgten Bürgern, die die AfD nicht verdient haben, und einer rassistischen Natur, wenn das Lied »Zehn kleine Negerlein« gesungen werde. Sie thematisiert die Zweitfrau, das Grundgesetz und die Beschneidung, Emanzipation und Gleichbehandlung, Religion ebenso wie Physik, die Gefühlszustände in Frequenzen ablesen kann. Aber sie betont auch: »Alles, was ich heute aus meinem Programm ›Ghettolektuell‹ bringen wollte, habt ihr gef..., Florstadt.«
Die Künstlerin spielt das übertriebene Klischee des »Kanaken«, der sich über die »Kartoffeln« (die Deutschen) lustig macht. Sie macht verträumt deutlich, dass es für sie das Schönste wäre, nach dem Grundgesetz zu leben. Und sie übersetzt die Abkürzung AMK auf ihrem Oberteil lapidar mit »Ausländer mit Kohle«. Sie wünscht sich ein Anti-Rassismusgesetz, »denn dann muss die AfD raus«. Außerdem prägt sie den wichtigsten Satz des Abends: »Nazis wissen selbst, dass Nazi-sein Scheiße ist - deswegen werden sie ja sauer, wenn man sie mit Nazis anspricht.«
Schlussendlich bekennt sie, dass sie noch nie so viel Privates offengelegt habe, dass sie dem Publikum für seine Direktheit dankte und »dass das alles unter uns bleiben muss«. An dieses Versprechen hält sich auch der Verfasser dieser Zeilen... Stephan Lutz