10. Oktober 2021, 21:06 Uhr

Nordmazedonien

Härtetest in Skopje

Hansi Flick ist nicht mehr Bayern-Trainer, aber als Nationalcoach baut er wieder auf den Münchner Block. Das Bündnis mit Müller und Co. dient als WM-Wegweiser. In Nordmazedonien brennen die DFB-Kicker auf Revanche. Auch die Fans reißt der hochtourige Fußball wieder mit.
10. Oktober 2021, 21:06 Uhr
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Von DPA
Bundestrainer Hansi Flick (r.) schaut im Abschlusstraining im Millerntor-Stadion genau hin. FOTO: DPA

Beim abschließenden Training in Hamburg konnten Hansi Flick und die Nationalspieler noch ein paar wärmende Sonnenstrahlen genießen - in Skopje dagegen wird es ungemütlich. Im Nationalstadion von Nordmazedonien erwartet das DFB-Team am heutigen Montag (20.45 Uhr/RTL) ein euphorischer Gegner, der von einer weiteren Fußball-Sensation gegen den viermaligen Weltmeister wie beim auch nach einem halben Jahr kaum fassbaren 2:1 im Hinspiel träumt.

Am Wochenende regnete es fast unaufhörlich in der rund 550 000 Einwohner zählenden Hauptstadt der Republik Mazedonien. Es ist also alles andere als ein Vergnügungstrip für die prominenten Gäste aus Deutschland, die mit dem fünften Sieg im fünften Spiel unter Flick das WM-Ticket nach Katar fix lösen wollen. Entsprechend titulierte der 56 Jahre alte Chefcoach den nächsten Auftrag nach dem mühsamen und kraftraubenden 2:1 gegen Rumänien: »Wieder Charakter zeigen!«

Leidenschaft, Teamgeist, hochtouriger Tempofußball - das sind die ersten Markenzeichen des Aufbruchs unter Flick, der auch die Fans nach wenigen Länderspielausgaben mitreißt. In Hamburg drehten Matchwinner Thomas Müller und Kollegen nicht nur ein Spiel. Auch das Publikum ist zurückgewonnen. Müller sprach nach seinem Joker-Tor begeistert von einer »kleinen Explosion« auf den Tribünen. »Das Miteinander mit den Fans war klasse«, sagte Flick.

Flick mag nicht mehr Bayern-Trainer sein, aber ein neues Bündnis mit dem starken Münchner Block schmiedet er auch als Nationalcoach. Die Münchner Torschützen Serge Gnabry und Müller bewahrten sein Team und auch ihn vor einem ersten Rückschlag in der Findungsphase. Die acht Bayern-Profis im Kader haben die Spielidee und die Arbeitsweise des Bundestrainers aus dessen kurzer Titelära beim Rekordmeister im Blut.

»Wenn man einen Trainer schon mal gehabt hat, steckt einem die Philosophie in den Knochen«, bestätigte Gnabry am Sonntag. Als Offensivspieler ist der erfolgreichste DFB-Schütze in der Quali (6 Tore) ein Profiteur des mutigen Flick-Stils: »Wir haben einen Zug nach vorne, daran hat Hansis Spielphilosophie großen Anteil.«

Die Bayern bilden das Rückgrat der Mannschaft. Sie besetzen die meisten Schlüsselpositionen. Die Taktgeber Joshua Kimmich und Leon Goretzka nennt Flick als »eines der besten Mittelfeldduos, die es aktuell gibt«. Am Sonntag meldete sich auch der Kapitän zurück. Flick kann nach muskulären Problemen wieder mit Manuel Neuer im Tor planen.

Die Bayern-Fraktion stellt auch die Wortführer im Team, ob Neuer, Müller, Kimmich oder Goretzka. Gnabry (»Es wurmt immer noch«) und Kimmich sprachen extra die Hinspiel-Blamage gegen die Mazedonier an, sie trachten nach Revanche. »Das war ein Spiel, dass wir niemals verlieren dürfen und jetzt wieder gutmachen können«, sagte Kimmich.

Flick braucht schnelle Entwicklungsschritte, wenn Deutschland nach zwei vermurksten Turnieren (WM 2018, EM 2021) schon in 13 Monaten wieder titelfähig sein soll. Kapitän Neuer bekräftigte in der »Bild am Sonntag« das Ziel, in Katar Weltmeister werden zu wollen. »Wir haben bereits gute Leistungen gezeigt. Aber wir müssen nun wirklich jedes Spiel ernst nehmen«, mahnte der Teamsenior. Gnabry sekundierte: »Wir wollen neu angreifen mit neuem Schwung. Der WM-Titel ist ein großes Ziel - ohne Ziele ist es aber schwierig, etwas zu erreichen.«

Den Kraftakt gegen Rumänien wertete Flick als Puzzlestück auf dem Weg zurück in die Weltspitze: »So ein Spiel umzubiegen, gehört auch dazu in der Entwicklung, die wir gerade haben.« Weltmeister-coach Löw war 2006 mit fünf Siegen gestartet, Vierfachsieger Flick kann das nun nachmachen. Er will in Skopje wieder eine Mannschaft mit »enormer Aktivität« sehen. Die Mazedonier haben in drei Quali-Heimspielen noch kein Gegentor kassiert. »Die Stimmung im Stadion wird super sein. Die Mazedonier wittern im Heimspiel ihre Chance gegen uns«, glaubt Flick.

Der 56-Jährige schafft im großen DFB-Tross gleichzeitig ein Leistungs- und Wohlfühlklima. Auch ein Thomas Müller muss mal auf die Bank, weil in Marco Reus oder Kai Havertz auf der Zehner-Position weitere Topspieler da sind. Flick greift auch jeden kleinen Ansatzpunkt zur Optimierung auf. Den neuen Standardtrainer Mads Buttgereit hat er kaum neu dazu geholt, schon fallen Tore nach Freistößen und Ecken.

Flick spricht aber auch Mängel klar an. Gegen Rumänien fehlte ihm oft die Präzision beim letzten Pass und den Abschlussaktionen. Er nimmt aber auch Spieler gezielt in Schutz. Paradebeispiel dafür ist Timo Werner, der gegen Rumänien im vierten Länderspiel unter Flick erstmals torlos blieb. Flick lobte den Chelsea-Profi explizit vor der Mannschaft. »Wir sind füreinander da, das ist unser Mindset«, sagte der Bundestrainer: »Die Intensität, die Timo im Spiel hat, ist einfach klasse.«

Die Aufgabe ist nicht leicht. Nach zwei historischen Meilensteinen muss Deutschland-Schreck Nordmazedonien umsatteln - mitten auf dem Weg zum nächsten großen Ziel. »Wir sind auch dabei, unsere Nationalmannschaft aufzufrischen«, sagte der neue Trainer Blagoja Milevski vor dem Wiedersehen mit dem DFB-Team im Interview mit der Deutschen Welle: »Wir befinden uns in einem Umbruch mit vielen jungen Spielern.«

Altstar Goran Pandev, der Nordmazedonien vor knapp einem Jahr zunächst zur ersten EM-Teilnahme und im März zum sensationellen 2:1 in Duisburg geführt hatte, hat sich verabschiedet. Ebenso Trainer Igor Angelovski, der nach drei Niederlagen bei der EURO abtrat. Mitten in der Qualifikation für die WM 2022 in Katar, in der der Außenseiter die nächste historische Chance hat.

Denn trotz des Umbruchs ist das erste WM-Ticket in der 30-jährigen Geschichte der ehemaligen Teilrepublik in Reichweite. Vor dem Duell am Montag (20.45 Uhr/RTL) in Skopje mit Deutschland liegt Nordmazedonien in der Gruppe J auf dem zweiten Platz - punktgleich mit Armenien. Mit Erfolgen in den letzten beiden Gruppenspielen im November in Armenien und gegen Island könnte Milevskis Team die Playoffs erreichen und dann um einen der letzten drei europäischen Plätze in Katar kämpfen.

»Im Moment ist in unserer Gruppe alles offen und jeder kann jeden schlagen«, meinte Milevski: »Ich denke, dass der zweite Platz bis zum letzten Tag umkämpft sein wird.« Beim 4:0 am Freitag in Liechtenstein erzielte der Schalker Darko Churlinov (21) sein erstes Länderspieltor. Leistungsträger beim 74. der FIFA-Weltrangliste sind aber noch andere: Kapitän Stefan Ristovski (29), Mittelfeldchef Aleksandar Trajkovski (29) und Außenbahnspieler Ezgjan Alioski (29). Doch auch Junge wie Eljif Elmas (22), der in Duisburg das entscheidende Tor erzielte, spielen sich in den Fokus. »Es wird Zeit brauchen, sich an Gorans Fehlen zu gewöhnen«, sagte Milevski: »Er ist eine Fußballlegende, die dem mazedonischen Fußball einen tiefen Stempel aufgedrückt hat. Aber das Leben geht weiter.«

Die Chance auf die erste WM-Teilnahme will Milevski nicht verstreichen lassen - auch nicht die auf eine Wiederholung des »Wunders von Duisburg«. »Der Fußball wäre nicht das, was er ist, wenn immer der Favorit auf dem Papier gewinnen würde«, meinte er. Aber: Der Gegner ist nach dem Wechsel von Joachim Löw zu Hansi Flick ein anderer. »Viel aggressiver, viel mehr Laufarbeit und Disziplin im Spiel«, hat Milevski festgestellt. Die Spieler seien zwar dieselben, doch »auf dem Spielfeld sehen sie jedenfalls viel besser aus«.



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