Der Hessische Handball-Verband (HHV) erlaubt in den Oberligen der Männer und Frauen sowie der Jugend A und B zum Saisonstart 2021/22 die Nutzung von Haftmitteln. Damit folgt der HHV den Empfehlungen der »Arbeitsgruppe Haftmittel« und revidiert das im Jahr 2001 für den gesamten Landesverband ausgesprochene Harzverbot.
Vereine, die dem Beschluss folgen wollen, müssen bis zum 30. Juni einen entsprechenden Antrag stellen und die Zustimmung des Halleneigners schriftlich vorlegen.
Das Thema Haftmittel polarisiert, teilt die Handball-Welt in zwei Lager und wirft Fragen auf, die je nach Betrachtungsweise unterschiedlich zu beantworten sind.
Die Hintergründe: Die HHV ist dem Wunsch vieler Vereine gefolgt, die argumentieren, dass Hessen bisher der einzige Landesverband war, der sich gegen eine Verwendung von Haftmitteln ausgesprochen hatte. Der daraus resultierende Wettbewerbsnachteil, den Vereine erleiden, sobald sie in die 3. Liga aufsteigen oder im Jugendbereich an Spielen um die deutsche Meisterschaft teilnehmen, fällt somit jetzt weg. Eine Chancengleichheit ist hergestellt.
Der Zeitpunkt: Es bleibt offen, ob dieser Schritt, der von vielen als längst überfällig bezeichnet wird, gerade jetzt, zu Zeiten der Corona-Pandemie, die den Vereinen genügend Sorgen bereitet, zur Umsetzung kommen sollte.
Was dafür spricht: Befürworter finden sich vor allem auf Seiten der Spieler und Trainer. Für sie gehört das Haftmittel zum Handball, wie das Wachs zum Ski oder das Magnesia zum Turnen. Handball werde auf ein höheres Niveau gehoben, technische Finesse bei Würfen vom Kreis und von Außen halten Einzug, die Intensität der Rückraumwürfe werde höher und Pass- und Fangsicherheit nehmen zu, wird argumentiert.
Was dagegen spricht: Skeptiker finden sich eher im Bereich der Funktionäre. Sie müssen jetzt Gespräche mit den Halleneignern führen und notwendige Genehmigungen einholen, das Reinigungsproblem abklären und Konzepte für die Umsetzung erarbeiten. Haftmittel haben also kostspielige Folgen, und der Aufwand für die Reinigung ist enorm. Nicht nur der Boden, sondern auch Umkleidekabinen, Türe, Bänke und Wände sind schnell verdreckt.
Die Problematik: Da viele Hallen täglich für den Schulsport geöffnet sind, ist die Halle nicht nur an Spieltagen, sondern auch unter der Woche nach den Trainingseinheiten zu reinigen. Martin Schindler vom Frauenhandball-Drittligisten HSG Gedern/Nidda kennt das Thema. »Reinigung summiert sich und kostet Geld. Neben den Spielen trainieren wir mehrfach unter der Woche. Da muss die Halle am nächsten Morgen sauber sein. Zur Entschädigung für die Putzkräfte kommen die Kosten für die Putzmittel hinzu. Wir kommen alles in allem locker auf einen Betrag von über 500 Euro monatlich«, sagt er und zeigt noch einen anderen, nicht unerheblichen Aspekt auf. »Das Problem ist, Leute zu finden, die ab 22 Uhr die Halle putzen. Und das eben auch im November oder Januar.« Jetzt, in Zeiten der Pandemie, übernehme die die Mannschaft selbst die Hallenreinigung.
Einwand I: Diskutiert wird auch die Tatsache, dass der Beschluss nicht für den gesamten Spielbetrieb auf Landesebene bis runter bis zum Beispiel zur D-Jugend gefasst wurde. Für die Jugend-Ausbildung wird das als Nachteil empfunden. Jugendliche würden durch die Haftmittel gerade in den wichtigen Entwicklungsjahren, in denen viele Wurftechniken erlernt werden, in ihrer Ausbildung davon profitieren, argumentieren Jugendtrainer.
Einwand II: Spieler, die in ihren Vereinen zwischen unterschiedlichen Mannschaften pendeln, die je nach Spielklasse mal mit und mal ohne Harz spielen, sind extrem gefordert, da Spielen mit und ohne Haftmittel den Handball grundlegend verändert. Eine permanente Umstellung erscheint nicht zielführend.
Erklärung: Diese Argumente sind dem Verband durchaus bewusst. Dort sieht man die nun getroffene Regelung als einen ersten Schritt an und wird die Entwicklung beobachten.
Flickenteppich: Da sicher nicht allen Vereinen in den relevanten Ligen die Erlaubnis zur Verwendung von Haftmitteln erteilt wird, könnte dem Heimvorteil eine neue Bedeutung zukommen.
Das sagt Martin Peschke, Trainer vom Oberligisten TV Petterweil: »Auf Grund der Pandemie müssen bereits jetzt einige Vereine den Gürtel enger schnallen und sind bemüht, ihre Ausgaben möglichst gering zu halten. Die Reinigung der Hallen nach Haftmittelnutzung allein durch Spieler und Vereinsangehörige wird nicht möglich sein, weshalb eine Reinigungsmaschine angeschafft werden muss. Auch die Kosten für das Haftmittel an sich sowie die entsprechenden Lösemittel sind nicht zu unterschätzen.
Eine weitere Hürde stellt die Haftung für Folgeschäden durch die Nutzung dar. Viele Vereine spielen in Schulsporthallen. Entstehen hier im Schulsport Unfälle oder Personenschäden durch Harzreste wird der Verein - berechtigterweise - zur Rechenschaft gezogen.
All diese Punkte werden dafür sorgen, dass einige Vereine die entstehenden Kosten, Risiken und Reinigungsaufwände scheuen werden. Somit haben diese Teams jedoch keine Möglichkeit, sich auf Aufwärtsspiele mit Harz vorzubereiten.
Wir vom TV Petterweil werden aufgrund der fehlenden Genehmigung und den finanziellen Aspekten kein Haftmittel verwenden. Selbstverständlich sehen wir auch den großen Vorteil durch die Nutzung diverser Haftmittel, da man so die Basis dem Profihandball anpasst und nun die Ausbildung der Jugendlichen auch gezielt auf ein höheres Handballniveau ausgerichtet werden kann. Solange jedoch durch die aufgeführten Hürden und Herausforderungen keine faire Chancengleichheit innerhalb der Liga gibt, ist die Erlaubnis von Haftmitteln nicht zu befürworten.«