Eike Immel absolvierte 534 Bundesligaspiele für Borussia Dortmund und den VfB Stuttgart, wurde Deutscher Meister, Europameister und zweimal Vizeweltmeister. Nach der Karriere folgte der finanzielle und private Absturz, ehe ihm die Rückkehr nach Stadtallendorf und die Hilfe seines ehemaligen Vereins Eintracht Stadtallendorf wieder neuen Mut einhauchten. Zu seinem 60. Geburtstag haben wir mit dem gebürtigen Erksdorfer ausführlich über seine Karriere mit Höhe- und Tiefpunkten gesprochen. Heute Teil 1 des Interviews:
Herr Immel, Sie werden jetzt 60 Jahre alt. Ihre Heimat verließen Sie bereits 1976 mit nur 15 Jahren, um zu Borussia Dortmund zu wechseln. Wie kam es zu diesem Wechsel?
Ich habe meine Karriere mit zehn Jahren bei Eintracht Stadtallendorf begonnen und habe die ganzen Auswahlmannschaften durchlaufen, die es damals gab - Kreisauswahl, Bezirksauswahl, Hessenauswahl. In Duisburg-Wedau gibt es immer ein großes Turnier, wo die Landesverbände sich treffen, und die besten wurden dann zur Schüler-Nationalmannschaft berufen und das habe ich dann auch geschafft. Dann hatte ich natürlich Angebote von vielen Bundesligavereinen, auch von den beiden hessischen (Eintracht Frankfurt und Kickers Offenbach, Anm. d. Red.). Das war aber keine Option für mich, ich wollte unbedingt nach Dortmund.
Warum?
Die hatten sich einfach menschlich am meisten um mich gekümmert und man hat gemerkt, denen war das wichtig. Ich habe dann schon mit 15 in der A-Jugend gespielt, mit 17 in der Bundesliga und mit 19 war ich Nationalspieler - bis dahin habe ich somit alles richtig gemacht.
Hätten Sie damals damit gerechnet, so schnell im Tor der Profi-Mannschaft zu stehen?
Also das war mein Plan! Ich wollte in dem Jahr, in dem ich Senioren spiele, auch die Nr. 1 sein. Das ist wahrscheinlich normalerweise nicht realistisch, aber bei mir spielten das Glück, vor allem aber das Talent, das Können und der Zufall eine Rolle. Borussia Dortmund hatte am letzten Spieltag der Saison 1977/78 mit 12:0 in Gladbach verloren und der Torwart sowie der Trainer Otto Rehhagel, der kein Freund von jungen Spielern war, wurden entlassen. Der Verein hatte kein Geld, um den Kader aufzustocken, sodass man die drei Jugendnationalspieler mit dazugenommen hat und ich zweiter Torwart wurde. Horst Bertram war ja Mannschaftskapitän und sportlich unumstritten, war aber unheimlich unbeliebt in der Mannschaft. Das habe ich gemerkt und ich hatte sehr viel Unterstützung von den älteren Spielern.
Was passierte dann?
Eine Woche vorm Saisonstart hatte Horst Bertram auf einmal eine Platzwunde am Knie. Wir trainierten damals auf Plätzen, wo heute keiner mehr trainieren würde. Die Ironie der ganzen Geschichte ist ja, dass ich die gleiche Platzwunde am Knie hatte. Die wurde mehrfach genäht, aber ich habe zu unserem Mannschaftsarzt gesagt, dass er keinem was sagen soll, weil ich spielen wollte. Natürlich hätte sich die Wunde auch entzünden können, aber das wusste ich damals gar nicht. Dann kam auf einmal das Spiel gegen Bayern München, Bertram konnte immer noch nicht spielen und dann hieß es, dass ich spielen sollte. Das war natürlich sportlich gesehen der größte Glücksfall in meinem Leben, denn das war eines der besten Spiele, das ich jemals gemacht habe. Mit 17 gegen Bayern München, wir gewannen 1:0 und dann hatte ich schon mal den ersten Schritt gemacht. Dann haben wir gegen Gladbach gespielt und ich war wieder der beste Mann.
Ein steiler Aufstieg...
Danach ging’s ein bisschen bergab - völlig normal mit 17, würde ich sagen - und dann ging es los mit: »Was ist mit ihm los, der hält ja nichts mehr.« Dann hieß es, ich hätte die Bodenhaftung verloren und all so ein Mist. Natürlich hat die »Bild«-Zeitung viel geschrieben, weil Immel und Himmel passte ja so gut, und Immel flog in den Himmel und wieder raus. Da war man unwahrscheinlich schlecht betreut in dem Fall und es kamen relativ schnell viele negative Berichte. Ein Jahr später kam der Udo Lattek - ich hatte im ersten Jahr elf Spiele gemacht, was nicht schlecht ist - und er sagte: »Wer besser ist, der spielt.« Ich war besser als der andere und hab von da an bis zu meinem Abschied aus Stuttgart immer gespielt, wenn ich fit war. Ich hab nicht einmal auf der Bank gesessen, ich hab vielleicht ein paar Spiele verpasst, weil ich verletzt war, aber insgesamt ist der Plan voll aufgegeangen.
Bis heute hält sich das Gerücht, Ihr Vater hätte für den Wechsel zum BVB eine besondere Belohnung erhalten.
Nein, mein Vater hat keinen Mähdrescher bekommen, obwohl es entsprechende Medienberichte gab (lacht). Über einen Mähdrescher würden die Spieler heute lachen, weil das heute Kleingeld ist, aber damals war das ja unvorstellbar: Ein Mähdrescher, was weiß ich, was der gekostet hat, 50 000 oder 60 000 Mark! Meine Eltern haben 5000 Mark erhalten und ich bekam 300 Mark, eine Lehrstelle und habe bei einer Pflegefamilie gewohnt. Das Geld und die Lehrstelle waren mir aber eigentlich egal: Wir hatten einen großen Bauernhof zu Hause und es war klar, dass ich den Hof übernehmen muss, wenn ich es im Fußball nicht schaffe. Das war zwar eine relative Sicherheit, aber auch eine Horrorvorstellung für mich. Heute habe ich den größten Respekt vor diesem Berufsstand. Ich wollte aber Fußballer werden und wenn ich das nicht geschafft hätte, wäre das eine unfassbare Enttäuschung gewesen, aber dies Frage stelle sich mir gar nicht. Gott sei Dank habe ich so viel Talent mitgegeben bekommen, dass das funktioniert hat. Aber es steckt auch viel Arbeit und Fleiß dahinter.
Nur zwei Jahre später debütierten Sie im Herbst 1980 gegen die Niederlande in der A-Nationalmannschaft und wurden im Sommer desselben Jahres bereits als dritter Torhüter Europameister.
Es war damals so: Um Nationalspieler zu werden, musstest du unumstrittener Stammspieler im Verein sein. Toni Schumacher war ja Nr. 1 und wenn sich Norbert Nigbur nicht verletzt hätte, wäre ich damals gar nicht dabei gewesen. Man muss immer ein bisschen Glück haben. Danach kamen ja nur der Walter Junghans und ich und es war eine logische Konsequenz, dass ich da dritter Torhüter wurde, weil ich gut war, so einfach ist das. Trotzdem war es so, dass du als Nationalspieler ein tadelloses Auftreten haben, jede Woche spielen und Top-Leistungen bringen musstest. Nationalmannschaft war etwas ganz Besonderes damals. Da waren die Straßen leer gefegt und die ganze Nation vor dem Fernseher. Man hat auch nicht von einem Freundschaftsspiel gesprochen, das war ein Länderspiel! Natürlich waren die Turniere das Größte, aber jedes Länderspiel war etwas Besonderes.
Was hat sich geändert?
Heute guckt man ja die Nationalmannschaft gar nicht mehr an. Ich kenne manche Spieler gar nicht und manche sind in der Nationalmannschaft, obwohl sie in ihren Vereinen überhaupt keine Rolle spielen. Das finde ich schon extrem bedenklich, aber so stellen wir uns auch dar in den letzten Jahren. Nach dem Brasilien-Triumph, der unglaublich war, ging es ja nur noch bergab. Es ist aber nicht alles schlecht heute, wir haben tolle Fußballer in der Bundesliga und auch in den internationalen Ligen. Wir spielen, glaube ich, weit unter unseren Möglichkeiten.
Wie bewerten Sie die aktuelle Situation der Nationalmannschaft?
Die Außendarstellung ist - höflich formuliert - katastrophal. Genau. Ich habe das Gefühl, man hat nach Brasilien ein wenig die Bodenhaftung verloren. Man hat die ganze Mannschaft zu sehr zu einem Marketing-Objekt gemacht, was mit »Die Mannschaft« anfing. Ich kritisiere das nicht, aber man hat das übertrieben und auf die Spitze getrieben. Gefühlt bei jedem Länderspiel drehen die Nationalspieler zwei Tage Werbespots und trainieren nur einen Tag. Es ist wahrscheinlich nicht so, aber das Bild wurde auf jeden Fall gefördert, weil die Sponsoren viel Geld bezahlt haben.
Und sportlich?
Sportlich ist es natürlich auch desaströs gewesen. Nicht nur, dass man 6:0 verliert, aber vor allem die Art und Weise. Die Aufarbeitung dieser Krise finde ich schon unvorstellbar, das muss ich sagen. Ich verfolge ja die mediale Berichterstattung und stehe nicht allein mit dieser Meinung da. Man kann nur hoffen, dass am vierten Dezember die richtigen Entscheidungen getroffen werden - wie auch immer diese aussehen - und dann alle auf das Ziel Europameisterschaft hinarbeiten. Ich finde es allerdings unverständlich, dass man es bis heute kategorisch ausschließt, Müller, Hummels oder Boateng zurückzuholen, wo praktisch jeder Angriff vom Gegner eine hundertprozentige Torchance ist, weil da hinten jemand ohne Spielpraxis steht.
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Lesen sie morgen im zweiten Teil des Interviews: Eike Immel über Fehlentscheidungen, schwere Zeiten und die Rückkehr nach Stadtallendorf.