21. April 2021, 22:30 Uhr

FC Gießen

Mit zwei Bürgermeistern: Das ist das neue Führungsteam des FC Gießen

Der FC Gießen hat ein neues Kompetenzteam um zwei amtierende Bürgermeister. Der siebenköpfigen Gruppe gehört auch Christian Memmarbachi als aktueller Sportlicher Leiter an.
21. April 2021, 22:30 Uhr
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Von Sven Nordmann
Pohlheims neuer Bürgermeister Andreas Ruck (l.) zählt ebenso zum Kompetenzteam des FC Gießen wie der aktuelle Sportliche Leiter des FC, Christian Memmarbachi. FOTO: FRIEDRICH

Die Veränderungen, die sich beim FC Gießen seit Monaten abzeichnen, bekommen ein Gesicht. Notvorstand Turgay Schmidt bestätigte dieser Zeitung gestern, dass ein siebenköpfiges Kompetenzteam gegründet wurde.

»Ich bin sehr froh über die Zusagen dieser Personen«, sagte Schmidt. »Einzeln sind diese Personen schon seit dem Jahreswechsel eingebunden, erstmals zusammengeführt wurden sie im April 2021. Wir treffen uns alle 14 Tage.«

Das neue Führungsteam des FC Gießen ist vielfältig: Dazu gehören unter anderem die beiden amtierenden Bürgermeister von Fernwald, Stefan Bechthold, und von Pohlheim, Andreas Ruck.

»Turgay Schmidt hat uns angesprochen und gefragt, ob wir ihm beratend zur Seite stehen können«, erklärt Fernwalds Bürgermeister Stefan Bechthold. »Das machen wir ehrenamtlich sehr gerne, weil wir ein Herz für den Gießener Fußball haben und Regional- liga vor Ort fördern wollen.«

Zum Kompetenzteam zählt auch Christian Memmarbachi, der bereits seit Dezember 2020 intern als Sportlicher Leiter des FC Gießen fungiert.

In dieser Rolle war Memmarbachi zuletzt auch beim heimischen Verbandsligisten Turabdin/Babylon Pohlheim aktiv, dessen sportliche Aktivität coronabedingt ruht.

»Christian führt aktuell die Vertragsverhandlungen mit Spielern für den FC Gießen und übernimmt die Kaderplanung gemeinsam mit Trainer Daniyel Cimen. Beide verstehen sich sehr gut«, sagt der Notvorstand. »Seine sportliche Kompetenz steht außer Frage, das Vertrauensverhältnis ist sehr groß. Schon die Winter-Neuzugänge trugen vor allem seine Handschrift.«

Zum Kompetenzteam um Rechtsanwalt Schmidt zählt zudem der langjährige Förderer des VfB 1900 Gießen und Orthopäde, Dr. Günther Moll. »Wir wollen das Netzwerk nutzen und gemeinsam alle Bereiche regelmäßig besprechen«, sagte Turgay Schmidt, der drei weitere Personen in seinem vertrauten Umfeld weiß.

Dazu gehören Daniel Hahn für die Medienarbeit und das Video-Streaming, das der FC kostenlos auf YouTube stellt, sowie Steuerberater Harald Rabenau, der für die Finanzen verantwortlich zeichnet.

Mit dabei ist auch Vjekoslav Boras. Der Bauunternehmer aus Frankfurt ist Vater von FC-Innenverteidiger Marco Boras. »Sein Engagement ist unabhängig davon, ob sein Sohn beim FC Gießen spielt oder nicht«, betont Turgay Schmidt auf Nachfrage.

Boras bringe viele Kontakte mit, soll sich zudem bei der Finanzierung der Winter-Neuzugänge eingebracht haben und mit seinem Bauunternehmen seinen Teil zum Kabinenausbau beitragen. »Wir haben auch schon zusammen Sponsorengespräche geführt«, erklärt Schmidt.

Als Anker in Sachen Vertrauen sollen die beiden SPD-Politiker Bechthold und Ruck stehen. Beide kennen sich persönlich, Bechthold hielt eine Rede bei der Amtseinführung von Ruck, der im November 2020 zum neuen Bürgermeister von Pohlheim gewählt wurde.

»Unser Gelände liegt an der Neumühle, wir sind ein Pohl-heimer Verein«, sagt Schmidt. »Diese beiden Politiker können dabei helfen, strukturelle Veränderungen im Verein voranzutreiben. Der FC Gießen soll irgendwann einmal ja auch wieder von einem Vorstand geführt werden.«

Notvorstand Schmidt, vom Amtsgericht Gießen bestellt, ist nach der Rückzugswelle des Vorstandes um Vorsitzenden Dominik Fischer seit Oktober 2020 im Amt und wird dies bis zur nächsten Mitgliederversammlung, auf der ein neuer Vorstand gewählt wird, auch bleiben. »Den Zeitpunkt dafür bestimme ich«, hatte Schmidt bereits im alten Jahr angekündigt.

Der Rechtsanwalt äußerte sich auch zu den Spekulationen um eine Verbindung zu Verbandsligist TuBa Pohlheim: »Ich bin Notvorstand des FC Gießen. Nur dieser Verein interessiert mich, kein anderer. Es gibt keine Verbindung zu TuBa Pohlheim.«

Eine neue Identifikation muss geschaffen werden: Bekannte Gießener haben den FC verlassen

Mit dem neuen Kompetenzteam läutet Schmidt auch eine neue Ära ein: Eine neue Identifikation muss geschaffen werden. Bekannte Gesichter, Gießener Kultfiguren, haben bzw. mussten den FC Gießen verlassen - und bemängeln fehlende Empathie im Verein.

So sagt Jörg Kässmann, der nach fünfeinhalb Jahren als Torwarttrainer im Dezember 2020 entlassen wurde: »Ich habe so viel für den Verein investiert und wurde dann auf eine sehr bittere Art und Weise vor vollendete Tatsachen gestellt. Das hat mit Stil und Menschlichkeit zu tun. Ich muss auch erkennen: Wen muss ich im Verein mitnehmen? Du hältst einen Verein vor allem durch Menschlichkeit am Leben.«

Auch Gießens Kreisfußballwart Henry Mohr, seit 21 Jahren im Amt und seit der Gründung des FC als großer Unterstützer bekannt, hat sich zurückgezogen.

Nach einem Vorfall, bei dem Schmidt von »Funktionsanmaßung, Eingriff in die Regionalliga- und Vereinsautonomie und Verstoß gegen die Corona-Verordnungen« spricht, erklärt der jahrzehntelange Fußball-Funktionär aus Klein-Linden: »Das Ganze lief enttäuschend ab. Ich verfolge das nur noch am Rande, schaue mir die Spiele des FC Gießen nicht mehr an. Mir ist nur wichtig zu betonen, dass ich mit vollem Herzen hinter dem Projekt stehe. Mein Engagement wird es bis auf Weiteres nicht mehr geben.«

Und Gießens 86-jähriges Urgestein Horst Hilgardt kündigte seine Mitgliedschaft nach 49 Jahren VfB 1900 Gießen und zwei Jahren FC Gießen, nachdem ihm der Eintritt ins Waldstadion als Zuschauer wegen Corona-Auflagen verwehrt wurde: »Ich habe mir für diesen Verein den A... aufgerissen. Mir fehlt die Empathie. Ich habe lange überlegt, aber ich musste mit meinem Vereinaustritt ein Zeichen setzen - auch wenn es mir unter Tränen schwer gefallen ist. Ich hätte fürchterlich gerne wieder kassiert, wenn Zuschauer gekommen wären.«

Zuschauer sind im Saisonendspurt des FC Gießen nicht zugelassen. Neun Spiele stehen für den abstiegsgefähr- deten Fußball-Regionalligisten bis zum Showdown am 12. Juni 2021 beim Heimspiel gegen Hessen Kassel noch an.

An diesem Samstag (14 Uhr) gastieren die Rot-Weißen im Derby beim Tabellenvierten TSV Steinbach Haiger - und FC-Trainer Daniyel Cimen ist mutig: »Wir fahren nicht nach Haiger und hoffen, dass Ostern und Weihnachten auf einen Tag fallen. Wir haben zuletzt gute Ergebnisse eingefahren, fünf Tore in den letzten beiden Spielen erzielt. Die Jungs haben Sicherheit.«

Sollte Gießen der Klassenverbleib gelingen, stehen derzeit fünf Spieler für die neue Saison 2021/22 fest unter Vertrag: Hendrik Starostzik, Ali Ibrahimaj, Nejmeddin Daghfous, Nikola Trkulja sowie Marco Baros. »Mit weiteren Spielern sind wir in sehr guten Gesprächen«, erklärte Cimen am Mittwoch. »Der wichtigste Faktor ist der Klassenerhalt.«

Während die Mannschaft sportlich also für die vierte Liga kämpft, setzt sich das neue Kompetenzteam des FC im Hintergrund für eine sichere Zukunft ein.



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