Auf dem Heimweg vom Athletiktraining mit sechs anderen wunderbaren Menschen in Buseck sitze ich im Auto mit meiner Schwester Svea und der in Gießen bekannten Tennisspielerin und Trainerin Kristina Ziprikow. »Das muss nicht sein«, sagt mir meine fahrende Schwester, während ich auf dem Beifahrersitz die intensive Sportstunde Revue passieren lasse.
»Das muss nicht sein, dass Du ihn da beschimpfst.« In meinem von Spaß und Ehrgeiz getriebenen Wetteifer habe ich ein Teammitglied mit einem schelmischen Schimpfwort bedacht, nachdem ich im Wettrennen unterlegen war. So ticke ich: Verbundenheit äußert sich bei mir darin, dass man sich necken darf. Hat halt so Bock gemacht!
Eine Stunde zuvor, gegen 19.30 Uhr, befand ich mich am Dienstagabend im TopSportPark in Buseck beim Athletiktraining einer Gruppe junger Menschen, die für die Tennisbase Mittelhessen als Übungsleiter aktiv sind.
Jeden Dienstag treffen sie sich zum persönlichen Workout. Ich habe beschlossen, die Truppe für einen Tag zu begleiten, vom Eisbaden in der Lahn am Morgen bis zum Athletiktraining am Abend in Buseck.
Warum? Weil ich seit über einem Jahr mitbekomme, welche Gruppendynamik entsteht - und welch verbindende Kraft der Sport ausüben kann. Ex-Profi Steven Moneke und Hessens Tennistrainer des Jahres 2022, Timo Dittmann, haben an der Spitze ihrer Tennisbase eine Ansammlung junger, motivierter Trainer geschaffen, die sich gegenseitig pushen, helfen und ihre Freizeit miteinander verbringen.
Eine illustre Runde von rund einem Dutzend Übungsleiter, die sich stetig erweitert - mal geht’s neben dem Tennisplatz in den Kletterwald, in den Ulenspiegel oder zum gemeinsamen Kochen in eine WG. Mal gibt’s Trainer-Lehrgänge, interne Schulungen oder eben: Athletiktraining.
Gesundheitsfördernde Wirkung
Um 8.30 Uhr in der Früh treffen wir uns zu fünft bei Minus 0,5 Grad Außentemperatur an der vier Grad kalten Lahn. Ein Schwan zieht seine Kreise und beobachtet uns. Ich bin etwas angespannt angesichts der frischen Temperaturen. Ich weiß: Dem Eisbaden werden gesundheitsfördernde Wirkungen nachgesagt. Adrenalin, Endorphine und entzündungshemmendes körpereigenes Kortison soll freigesetzt werden. Trotzdem kalt!
Am Steg breiten wir Matten aus und praktizieren zehn Minuten lang die Wim-Hof-Atmung - dann ziehen wir uns zügig aus und steigen nur in Badehose und Bikini in die eiskalte Lahn - für drei Minuten. Die ersten 20 Sekunden sind die härtesten - insgesamt machbar. Eine intensiv-interessante Körpererfahrung, die ich jedem nur empfehlen kann.
Die Stimmung danach? Jeder aufgeheitert, etwas stolz auf sich, körperlich-kribbelnd geht’s in den weiteren Tag. Auch eine Stunde danach spüre ich noch Kälte und Vibration im Körper. Am Abend gegen 19.30 Uhr geht’s unter der Anleitung von C-Trainer Timo Hertenstein beim Athletiktraining in Buseck los.
Zum Warmwerden kreuzen wir ständig die Positionen, indem wir unseren Gegenübern Bälle mit Fuß oder Hand zuspielen und dem Ball nachrennen - danach trippeln wir eine Leiter ab, während wir unserer Partnerin einen Tennisball zuwerfen und die Siebener-Reihe abwechselnd aufsagen.
Dann entscheidet ein Spielmacher, wann die beiden Konkurrenten um ihn herum zum Wettsprint Richtung Pylone ansetzen müssen - der Moment, indem mich mein Ehrgeiz übermannt und ich nach einer kassierten Niederlage im Scherz Richtung Spielmacher schimpfe.
Zu voll nehme ich den Mund, als ich vor dem Wettkampf »Mädchen gegen Jungs« sage: »Wir gewinnen eh!« Pustekuchen! Beim Parcours (Leiter durchlaufen, Hürden überspringen, Markierungen ablaufen, einen Tennisball ins Ziel dribbeln) nehmen uns die Mädchen zweimal hintereinander gebündelt fünf Sekunden ab!
Das macht Laune ohne Ende - die beste Bewegung ist für mich immer noch jene, die ich nicht bemerke: Wenn ich im Spielmodus bin. Sport verbindet so lockerleicht und selbstverständlich. Sich gemeinsam auspowern - was gibt’s Schöneres?
Gemeinsam Erlebtes verbindet
Sofort entsteht eine Bindung, oft sogar unausgesprochen. Wenn Menschen lachen, während sie sich den Ball zuwerfen, wenn sie sich aufhelfen oder abklatschen, ensteht etwas Verbindendes. Gemeinsam Erlebtes verbindet - beim Eisbaden und beim Sport. Gemeinsame Herausforderungen lassen die Menschen in diesem Moment zusammenwachsen. Dadurch, dass sich zwei Menschen gewollt der gleichen Anstrengung aussetzen, sind sie miteinander verbunden. Man könnte auch sagen: Hürden bauen Hürden ab.
Die oft hinderliche zwischenmenschliche Unsicherheit hat im Sport keinen Platz. Barrieren werden spielerisch genommen. Vor allem deshalb besitzt der Sport eine solch große Integrationskraft.
Am Abend sitze ich mit Svea und Kristina am WG-Tisch bei Rote-Beete-Mango-Salat und philosophiere über »Gott und die Welt«. Einen produktiven Tag ab 19 Uhr abzuschließen mit einer Sporteinheit, gutem Essen und tiefgründigen Gesprächen - weniges erscheint mir sinnvoller.
Wir wünschen uns Gemeinschaft - warum schaffen wir sie uns dann nicht einfach? Von der Couch aufstehen, sich aufraffen und in Bewegung mit Gleichgesinnten gehen, ist immer möglich - wenn wir denn nur wollen. Entweder wir kennen unsere »Pappenheimer« oder wir treten einem Verein bei und werden bei offener Haltung mit offenen Armen empfangen. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.
Ja, in unserer schnelllebigen Zeit besitzen viele Menschen das Bedürfnis nach Ruhe in ihrer Freizeit, nach Abgeschiedenheit und Entschleunigung.
Sportliche Betätigung aber bietet genau das - sie hilft dem Körper, Stress abzubauen und den Akku auf andere Art und Weise aufzuladen. Sport weckt Lebensgeister - wir alle wissen um die gesundheitsfördernden Effekte von regelmäßiger Bewegung. Unsere Zellen werden aktiviert, das Gemüt profitiert von Hormonausschüttung und sozialer Bindung.
»Aktivität aktiviert«, pflege ich gerne zu sagen. Wer aktiv wird, bleibt aktiv und genießt. Wer trödelt und sich hängen lässt, bläst Trübsal. Wer den Anfang gefunden hat, bleibt dabei - und spürt, wie eine Dynamik entsteht.
All das gilt für die agile Athletikgruppe genauso wie für den radelnden Rentner. Deutschland ist Vereinsland - die Ausrede, keine Möglichkeiten der Betätigung zu besitzen, ist müde. Entweder wir treten einer Gruppe bei - oder wir kreieren eine.
In Buseck sind Steven Moneke und Timo Dittmann mit dem Mut zur Selbstständigkeit vorgegangen - ein Dutzend junger, sportbegeisterter Trainer dankt und folgt. Beide haben mit Esprit, Motivation und Leidenschaft gezeigt: Wer beginnt, gewinnt!