Die Spannung steigt. In der Wetterau blickt man der am Freitag beginnenden Europameisterschaft entgegen. Ein Fußball-Sommer steht immer auch für Freiheit, Freude und Lebenslust. Nachdem uns die gelockerten Corona-Regeln nun wieder ein gewisses Maß an alten Gewohnheiten erlauben, kann es losgehen. Wir haben uns in der heimischen Sportszene umgehört. Julia Mörler (Handballerin und Vorstandsmitglied der TG Friedberg), Frederik Fabian (Fußballer beim FC Nieder-Florstadt), Hans-Peter Mazur (Spielführer der Tischtennis-Mannschaft des TSV Ostheim) und Sportkreisvorsitzender Jörg K. Wulf (Karben) lassen uns an ihren Gedanken teilhaben.
Für viele ändert sich der Alltag während einer EM oder WM. Wie ist das bei Ihnen? Gehen Sie zum Public Viewing oder hängen Sie sich Fähnchen an das Auto?
Mörler: Ich gucke die Spiele immer gerne mit Freunden zusammen, auch mal bei einem großen Public Viewing. Als Deutschland 2014 Weltmeister wurde, habe ich das Halbfinale und Finale in der damaligen Commerzbank-Arena in Frankfurt mit Freunden geschaut. Dieses Erlebnis werde ich nie vergessen. Ich hoffe, dass es dieses Jahr auch in abgespeckter Form stattfinden kann, so wie zum Beispiel beim Public Viewing der TG Friedberg. Fähnchen hänge ich nicht ins Auto, dennoch male ich mir gerne eine Deutschlandflagge auf die Wange und ziehe ein Trikot für das echte Fußball-Feeling an.
Wulf: Der Enthusiasmus ist bei mir persönlich mittlerweile etwas gebremst und nicht mehr so ausgeprägt wie noch beim »Sommermärchen« 2006. Das mag an meinem Alter liegen, aber auch die Gefahr durch Corona spielt dabei eine Rolle. Fahnen hänge ich nicht an mein Auto, das habe ich allerdings 2006 auch nicht gemacht. Ich schaue mir ausgesuchte Spiele zu Hause an.
Wenn das DFB-Team bei einem großen Turnier nicht das Halbfinale erreicht, ist schnell von einem Misserfolg die Rede. Was glauben Sie, warum ist die Erwartungshaltung in Deutschland immer recht hoch?
Mörler: Die Deutschen waren in der jüngeren Vergangenheit schon immer relativ erfolgreich bei Großereignissen und kamen meistens unter die Top 4. Daher erwartet die Nation das natürlich auch wieder von der aktuellen Mannschaft für diese EM.
Mazur: Weil Fußball in Deutschland einen sehr hohen Stellenwert hat und die DFB-Elf historisch gesehen immer sehr weit bei Welt- und Europameisterschaften gekommen ist.
Die Stadien werden teilweise mit bis zu 50 Prozent an Zuschauern ausgelastet. Wir beurteilen Sie diese Entscheidung, die ja schon vor Wochen getroffen wurde, als eine Besserung der Corona-Zahlen noch nicht in Sicht war?
Fabian: Meiner Meinung nach ist es sicherer, wenn die Leute kontrolliert - mit Maske und negativem Test - im Stadion die Spiele verfolgen, als bei zahlreichen Public-Viewing-Veranstaltungen oder - wie sonst üblich - rund um die Sportplätze oder im privaten Umfeld. Hier ist die Hemmschwelle sicherlich niedriger, die Nachverfolgung schwieriger, und die AHA-Regeln werden nicht so eingehalten.
Wulf: Im gesamten Sport müssen sich die Beteiligten ja an Regeln halten. Ich denke nicht, dass diese Vorgaben im Fußballstadion eingehalten werden können. Erst recht nicht bei einer Auslastung von 50 Prozent. Wenn ein Tor fällt, sind die Menschen nun mal emotional und gehen aufeinander zu. Das kann man gar nicht aufhalten. Die Triebfeder des ganzen ist das Geld. Die Veranstalter sind finanziellen Zwängen ausgesetzt, und die Sponsoren bestehen darauf, dass die Spiele stattfinden.
Jogi Löw ist aufgrund seiner Ergebnisse seit 2006 ein sehr erfolgreicher Bundestrainer. Warum hat er dennoch ein eher negatives Image?
Fabian: Sein schlechtes Image hat sich erst nach dem frühen WM-Aus 2018 langsam aufgebaut. Als im Anschluss daran nach dem versuchten Neustart mit jungen Spielern und der Ausbootung von Boateng, Hummels und Müller die Erfolge ausblieben, wurden die Rufe nach einem neuen Bundestrainer lauter. Ich denke, beim DFB wollte man Jogi aufgrund des sensationellen WM-Titels 2014 weiter eine Chance geben. Doch als Deutschland im letzten Jahr die 0:6-Pleite gegen Spanien kassierte, hatte Jogi kaum noch jemanden auf seiner Seite.
Mörler: Meiner Meinung nach hat er ein negatives Image, weil die Bürgerinnen und Bürger mit den Leistungen der letzten Jahre nicht zufrieden waren. Negativer Höhepunkt war mit Sicherheit das Aus in der Gruppenphase bei der WM 2018 als Titelverteidiger.
Als Europameister erwartet man eines der vier, fünf Top-Teams (Spanien, Frankreich, etc.) ganz vorne. Aber welches Team hat das Zeug zum Geheimfavoriten und warum?
Fabian: Nachdem wir 2018 bei der WM in Russland bereits in der Vorrunde ausgeschieden sind, zählen wir im europäischen Raum sicher nicht zu den Top-Teams, sodass man die Deutschen vielleicht sogar als Geheimfavorit nennen kann (lacht). Nach den Top-Mannschaften wie Frankreich, England, Italien, Portugal und Spanien sind für mich die Kroaten ein echter Geheimfavorit. Neben dem starken Mittelfeld um Brozovic von Inter Mailand und Chelseas Kovacic ist gerade die Offensive um Perisic, Modric, Rebic und Kramaric nicht zu unterschätzen.
Mazur: Die Top-Favoriten sind für mich wie immer die großen Nationen Deutschland, Frankreich, Niederlande, Italien, Spanien und Portugal. Als Geheimfavorit nenne ich - wie vor fünf Jahren auch - die Belgier. Die haben in allen Mannschaftsteilen tolle Spieler, die auch in Top-Clubs spielen.
Erstmals spielt man die EM paneuropäisch, also in mehreren Ländern. Halten Sie das für sinnvoll, weil Ressourcen geschont werden (kaum Stadion- und Infrastrukturausbau), oder eher für weniger sinnvoll, weil die hohe Reisetätigkeit aller Beteiligten das Klima belastet?
Mazur: Ich persönlich finde es keine gute Idee. Gerade in der Corona-Zeit sind Reisen quer durch Europa mit einem hohen Risiko versehen. Außerdem finde ich es besser, wenn man ein Land als Gastgeber hat und sich diese Nation um die Austragung bemüht und auch damit identifiziert. Und der Reiseumfang wäre auch geringer, was dem Klima zugute käme.
Wulf: Ich mag den europäischen Gedanken, insofern gefällt mir die länderübergreifende Durchführung schon gut. Klimaschutz ist natürlich ein Thema, aber bei dieser EM ist das Argument nicht so einschlägig. Von Köln nach Hamburg ist man genauso schnell mit dem Zug wie von Köln nach Amsterdam. Man stelle sich eine WM in Argentinien vor. Da reden wir von ganz anderen Entfernungen. Andererseits wäre eine EM - zumindest in Deutschland - problemlos mit der bestehenden Infrastruktur zu bewältigen. Das gilt freilich nicht für viele Länder. FOTOS: IHM / 3X PRIVAT