11. März 2022, 10:00 Uhr

Fußball

Frank Illing im Interview: Trainer bestimmen Juniorenfußball-Zukunft

Welche Auswirkungen hat Corona auf den Juniorenfußball? Was sollen die neuen Spielmodelle bringen? Und wie hält man den Nachwuchs am Ball?
11. März 2022, 10:00 Uhr
TFR
Trainerausbilder Frank Illing bezieht Stellung und erklärt, wie es im Juniorenfußball besser laufen könnte. FOTO: HELGE SCHRÖDER

Regionalauswahlcoach und HFV-Mitarbeiter Frank Illing bezieht im Gespräch mit Torben Frieborg Stellung.

Was hat zwei Jahre Corona aus den Juniorenfußballern gemacht?

Das ist schwer zu sagen. Ich denke, dass den A-Junioren in den kommenden Jahren der direkte Sprung ins A-Team einer Seniorenmannschaft nicht so leicht fallen wird. Den Nachwuchsspielern fehlen - Stand jetzt - anderthalb Jahre Spielerfahrung. Diese Akteure werden 20 Jahre alt werden müssen, bis sie das aufgeholt haben. Ich will eigentlich erst gar nicht darüber reden, welche Folgen wegen des allgemeinen Sportentzugs auf uns zukommen. Diese sehen wir in zehn Jahren. Dann werden wir Probleme bekommen, Polizisten und Rettungskräfte zu finden, weil viele aufgrund der abhanden gekommenen koordinativen Fähigkeiten den Sporteignungstest nicht bestehen werden. Es bleibt festzuhalten: Der Sport hat durch Corona nicht viele Spieler verloren, aber Spieler haben den Sport verloren.

Welche Auswirkungen hat das Aussetzen der aktuellen Hallenrunde speziell für die jüngsten Kicker, die nicht bei Wind und Wetter draußen trainieren?

Für mich gehört Fußball ins Freie - sowieso nicht in die Halle. Es spricht nichts dagegen, mit den Kleinen raus zu gehen. Bewegung an der frischen Luft ist das beste Training für das Immunsystem. Wir erleben immer mehr, dass schon im September beim ersten Regen über Trainingsunterbrechungen beratschlagt wird. Kinder werden tatsächlich an dieser Stelle verweichlicht. Zumal die Temperaturen in diesem Winter erträglich waren.

Der Deutsche Fußball-Bund treibt die Reform im Kinderfußball voran. Der Bundesjugendtag beschloss einstimmig, dass ab der Saison 2024/25 neue Spielformen ohne Punktesystem bei den jüngsten Jahrgängen gelten sollen. Eine gute Lösung?

Durch die neue Wettbewerbsformen sind für Kinder die zu gehenden Stufen in die nächste Altersklasse kleiner und leichter. Ein Sechsjähriger hat beispielsweise kein Teamgefühl, ist stark ichbezogen. Die Komplexität mit sieben Spielern in einem klassischen Team zu agieren, ist nicht vorhanden. Das hat unter anderem mit einem eingeschränkten Sichtfeld zu tun. Mit zwei Mitspielern fällt es leichter. Da wird aus dem ich ein ich und du. Später ein ich und wir. Jedes Kind im G-Juniorenalter will zum Ball. Das ermöglicht die neue Spielform, ohne andere zu benachteiligen. Der Punkt ist: Alle wollen mehr spielen. Und die Statistiken zeigen, dass Kinder dank der neuen Spielform mehr Ballkontakte haben und mehr Tore schießen.

Allgemein müssen wir uns über zwei Dinge im Klaren sein: Kinder kommen nicht in einen Verein, um trainiert zu werden sondern um zu spielen. Und dann sollten wir uns fragen: Was ist der Sinn des Fußballspiels? Sinn eines Spiels ist zu gewinnen, Ziel eines Fußballspiels ist aber das Zusammenspiel zu lernen. Dies wird dank der neuen Spielform leichter vermittelt. Und trotzdem wird der Wettbewerbsgedanke sogar gefördert, da mit fortlaufendem Spieltag Stärkere immer gegen Stärkere spielen und sich die Mannschaften mehr und mehr auf Augenhöhe begegnen. Das steigert den Siegeswillen von Spiel zu Spiel.

Diese Spielformen wurden zuletzt auch in hessischen Fußballkreisen Büdingen und vielen anderen Kreisen bei den G- und F-Junioren während einer Pilotphase getestet. Wie war die Resonanz?

Wie immer gibt es kritische Stimmen, wenn neue Dinge ausprobiert werden. Natürlich wird man nie jeden überzeugen können. Aber: Bei den von mir geleiteten Trainerausbildungen waren alle nach dem ersten Praxistest begeistert.

Seit Beginn der Pilotphase im Jahr 2019 ist der Reformprozess von Kritik begleitet. Viele Jugend- und Vereinsvertreter glauben, dass einige weiter auf klassische Vereinsduelle setzen werden und es zur Einführung von Schwarzligen mit Punktesystem kommen könnte. Was sagen sie den Kritikern?

Dass diese Vereinsvertreter mal ihre Motive hinterfragen sollten. Dass sie Dinge im Großen sehen und diese auf die Kinder transportieren. Am Ende benutzt man Kinder an dieser Stelle für die Ziele der Erwachsenen. Es ist immer eine Frage des Blickwinkels. Deshalb taten sich anfangs auch einige Verbandsorganisationen schwer - es herrschte wenig Bereitschaft etwas zu ändern. Das hat sich glücklicherweise geändert. Kinder in diesem Alter benötigen noch keine Tabellen und Meisterschaften, stattdessen erfüllt die neue Spielform Ziele und Motive der Nachwuchskicker.

Andere sagen, dass die Einführung des neuen Reglements das Kern-Problem nicht aus der Welt schafft: den Schwund im Juniorenfußball. In den unteren Jahrgängen seien eh die meisten mit Spaß dabei. Aber wie bringt man den Juniorenfußballer dazu, dass er auch noch mit 15 Jahren kickt?

Gegenfrage: Was ist die Aufgabe von Kindertraining? Gesunderhaltung! Die Basis legen für Lust am lebenslangen Sporttreiben! Das hat für mich mit Trainingsmethoden zu tun, die Lust auf Sport machen. Da gehört sicherlich nicht das Torschusstraining mit acht oder zehn Kindern in einer Schlange und drei Abschlüssen pro Kind in zehn Minuten dazu. Das Motiv muss in den Vordergrund. Motive, warum ein Jugendlicher aufhört oder weitermacht liegen im Wesentlichen laut einer Umfrage zu 78 Prozent an der Qualität des Trainers. Gründe dafür können der schlechte Umgang mit den Spielern, eine falsche Ansprache oder schlechtes Training sein. Dem versuchen wir in Trainerausbildungen entgegenzuwirken. Und die Zahlen der Trainerausbildungen schießen nach oben, jede Covid-Kurve würde blass werden. Ein Beispiel: Am 15. Februar 2012 hatten wir insgesamt 2566 lizensierte Trainer mit einer C-, B- oder einer höheren Lizenz. Jetzt sind es 8094.

Aber nicht jeder Betreuer hat Zeit, eine Lizenz zu erwerben…

Natürlich kann nicht jeder Jugendbetreuer aus zeitlichen Gründen eine Lizenz erwerben. Deshalb bieten wir ab April ein Kindertrainer-Zertifikat mit einem Umfang von 20 Lerneinheiten an.

Dabei ist folgendes zu beachten: Wir müssen schauen, dass es Breite und Spitze gibt. Die Breite geht aber verloren, wenn die Spitze zu breit wird. Ein Beispiel liefert der 1. FC Erlensee mit seiner überragenden Nachwuchsarbeit. Die machen das so gut, dass sie sich vor Spielern nicht retten können. Die Schattenseite: Der Klub stellt drei B-Jugendteams mir circa 65 Spielern. 45 kommen an Spieltagen zum Einsatz. 20 schauen nur zu. Diese Spieler fehlen dann den anderen Vereinen, um ein Team stellen zu können. Zudem sollte den Nachwuchsleistungszentren verboten werden, Mannschaften unterhalb der Altersklasse U12 im Wettbewerb zu haben. Die jüngsten Kicker sollten zunächst in Wohnortnähe spielen. Die Nachwuchsleistungszentren können dann einmal pro Woche talentierte Kinder zu einem Fördertraining einladen oder Trainer in die Vereine schicken. Das macht beispielsweise Atletico Madrid.

In welcher Altersgruppe sehen Sie aktuell die größten Probleme?

Das größte Problem sehe ich bei den A-Junioren. Die Vereine haben das Interesse, ihre Talente möglichst früh zu den Senioren hochzuziehen. Viele wollen aber die Jugend zu Ende spielen, denjenigen kann leider aufgrund zu geringer Mannschaftszahlen keine attraktive Meisterschaftsrunde geboten werden. Zudem fehlt oftmals innerhalb des Klubs die Spielermasse, um ein attraktives Training anzubieten. Da sind auch wir als Verband gefordert. Ich würde für ein zentral organisiertes A-Jugendtraining mit einem vom Verband bezahlten Trainer werben, wo sich beispielsweise 20 Jungs aus einem Fußballkreis treffen. Eine zweite Einheit könnte dann in Verein stattfinden. Das würde die Vereine entlasten. Und die Spieler hätten mehr Spaß.

Was halten Sie vom »Niedertiefenbacher Modell« aus dem Kreis Limburg-Weilburg, wo bei Personalmangel pilotweise Mannschaften Spieler des jüngeren Jahrgangs der nächsthöheren Altersklasse einsetzen dürfen? Beispielsweise einen jüngeren A-Jugendlichen in der B-Jugend.

Bislang gibt es, auch wegen Corona, noch keine verlässlichen Daten. Deshalb ist es schwer zu beurteilen. Prinzipiell behandeln solche Modelle nur die Symptome. Wir müssen aber die Ursachen bekämpfen. Wenn weniger Jugendliche da sind, müssen wir den Jugendfußball attraktiver machen, wie zu Beginn des Interviews erwähnt. Die meisten Spieler verlieren übrigens im C-Junioren-Alter die Lust am Fußballspiel. In diesem Alter werden sie erwachsen, wollen sich von ihren erwachsenen Vorbildern lösen. Ohne Eltern fehlt aber oftmals die nötige Organisation. Sie werden unter Umständen unzuverlässig und sorgen so für Konfliktpotenzial in der Trainer-Spieler-Beziehung. Die einfachste Konfliktlösung ist, nicht mehr ins Training und zum Spiel zu gehen. Deshalb sollte im C-Juniorenbereich ein Elternabend stattfinden, um diese Probleme anzusprechen. Im nächsten Schritt könnten Eltern und Trainer den Jugendlichen mehr Verantwortung übertragen und beispielsweise eine WhatsApp-Gruppe für Trainer und Spieler anlegen, in der sich die Spieler im Verletzungsfall selbstständig vom Training abmelden müssen.

Was muss sich noch ändern, um die Nachwuchsspieler am Ball zu halten?

In Zukunft wird die Attraktivität einer Sportanlage, auf der trainiert und gespielt wird, noch mehr in den Fokus rücken. Eine gute Anlage kann darüber entscheiden, ob ein Kind für den dort ansässigen Verein spielt. Zudem kann Juniorenfußball in 20 Jahren nicht mehr ohne eine Trainerbezahlung aufrechterhalten werden. Ich spreche hier nicht von 1000 Euro pro Monat. Es sollten aber wenigstens Fahrtkosten und ein paar Euro nebenbei sein. Da müssen sich auch die Eltern hinterfragen, die viel Geld für Fußballschulen zahlen, aber bei 48 Euro Vereinsjahresbeitrag meckern. Dabei nutzen viele Eltern den Verein als Abgabestation für Kinder. Natürlich wollen wir niemanden sozial ausgrenzen, es geht aber nur über adäquate Vereinsbeiträge. Dann könnte man einem A-Jugendlichen eventuell 100 Euro Taschengeld geben, wenn er die G-Junioren betreut und dann ein besseres Training anbietet als beispielsweise ein in die Betreuerrolle gedrängter Vater, der eigentlich Badminton spielt. Ohnehin sollten Vereine lieber Geld für Jugendtrainer als für externe A-Teamspieler ausgeben. Das wäre für die Sicherung des eigenen Vereins viel wertvoller.

Zum Abschluss ein anderes Thema: Kopfballspiel bei Kindern. Der DFB spricht sich gegen ein Verbot aus, dennoch bleibt es ein kontrovers diskutiertes Thema. Was sagen Sie dazu?

Im Bereich der G- und F-Jugend werden wir dank der Reform so gut wie kein Kopfballspiel mehr haben, weil das neue Spielfeld das nicht hergibt. Wir werden ein eher flaches Spiel sehen. Prinzipiell habe ich eine ganz klare Meinung dazu: Ich bin für Kopfballtraining, aber mit geeignetem Ballmaterial. Beispielsweise mit einem Plastikball. Wir Trainer müssen dafür sorgen, dass Spieler die Bewegungsabläufe erlernen und die Angst vor dem Kopfballspiel verlieren. Torben Frieborg



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