Gütersloh/Berlin - Nach dem Corona-Ausbruch mit mehr als 1300 Infizierten in der nun für 14 Tage geschlossenen Fabrik des Fleischkonzerns Tönnies bleiben dem Kreis Gütersloh drastische Einschränkungen des Alltags vorerst erspart. Nach einer Krisensitzung stellte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet jedoch klar, dass ein regionaler Lockdown weiter eine Option sei, um die Infektionen unter Kontrolle zu bekommen. In der Kritik von Politik und Verbraucherschützern stehen der Unternehmer Clemens Tönnies sowie die Branche insgesamt - der Vorwurf: Ungesunder Preiskampf bei Fleisch zulasten der Beschäftigten, der Landwirte und des Tierwohls.
Es gebe »ein enormes Pandemie-Risiko«, warnte Laschet am Sonntag in Gütersloh. Das Infektionsgeschehen sei jedoch bei der Firma lokalisierbar, und es gebe keine Infektionskette in die übrige Bevölkerung der Region. Sein Kabinett war zu einer Krisensitzung zusammengekommen. Laschet richtete sich direkt an das Unternehmen. »Wir werden auch Herrn Tönnies beim Wort nehmen, dass er gesagt hat, es kann keinen Zustand geben wie zuvor. Wir brauchen neue Regeln, neue Bedingungen - und das ist auch das, was wir vom Unternehmen erwarten«, sagte Laschet. Tönnies hat Rücktritts-Spekulationen zurückgewiesen.
Lokale Ausbrüche wie im Kreis Gütersloh bestimmen weiterhin das Infektionsgeschehen in Deutschland. Insgesamt haben die lokalen Behörden dem Robert Koch-Institut (RKI) 687 Neuinfektionen binnen eines Tages gemeldet, wie das RKI meldete (Datenstand 21.06., 0.00 Uhr). Die Zahl der Neuinfektionen liegt deutlich über den Werten, die bis etwa Mitte Juni täglich gemeldet wurden.
Die Zahl der Infizierten in der Fabrik in Rheda-Wiedenbrück stieg bis Sonntag nach Angaben des Kreises auf 1331. Die Tests auf dem Gelände der Firma seien am Samstag abgeschlossen worden, hieß es. Insgesamt 6139 Tests seien gemacht worden. Laschet warnte Tönnies-Beschäftigte aus anderen Ländern vor einer überstürzten Abreise in ihre Heimat und versprach »bestmögliche medizinische Behandlung« in Deutschland. Drei Hundertschaften der Polizei unterstützen die Ordnungsämter dabei, die Quarantäne aller rund 6500 Mitarbeiter durchzusetzen. »Fleisch ist zu billig«, sagte Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) der Deutschen Presse-Agentur. Sie setzt sich daher nun auch für eine Tierwohlabgabe ein, die auf Fleisch, Wurst und anderes aufgeschlagen werden könnte.
International gab es unterdessen zwei wichtige Neuerungen im Corona-Geschehen: Im früheren Corona-Hotspot Spanien herrscht seit Sonntag die »neue Normalität«: Nach genau 14 Wochen ging um Mitternacht der Notstand zur Eindämmung der Pandemie zu Ende. Die 47 Millionen Bürger des Landes durften sich erstmals seit dem 14. März wieder im ganzen Land frei bewegen. Und die Türkei wirbt trotz Reisewarnung und Einstufung als Corona-Risikogebiet durch die Bundesregierung weiter um deutsche Touristen. dpa