Noch bevor der Roman erschien, wurden »Die Toten von Marnow« bereits als Vierteiler für die ARD verfilmt. Haben Sie also zuerst die Drehbücher verfasst?
Nein, die Drehbücher und den Roman habe ich parallel entwickelt, sodass eine Wechselwirkung zwischen beiden Werkformen entstanden ist, von denen beide profitiert haben. Dinge, die im Film nicht funktionieren, konnte ich in den Roman einfließen lassen und andersherum. Der Film befindet sich gerade im Schnitt.
Sie haben für Richy Müller den Stuttgarter »Tatort«-Kommissar Lannert konzipiert und für Hinnerk Schönemann den ehemaligen Polizisten und Tierarzt Hauke Jacobs in »Nord bei Nordwest«. Hatten Sie beim Schreiben der »Toten von Marnow« eine Wunschbesetzung vor Augen?
Ich hatte eine Idee für die Hauptrollen, aber beim Schreiben blende ich die konkrete Vorstellung von Schauspielern überwiegend aus. Hinnerk Schönemann, mit dem mich mittlerweile 17 Filme verbinden, und Aljoscha Stadelmann, der in meiner Reihe »Harter Brocken« die Hauptrolle spielt, bilden da allerdings eine Ausnahme - da habe ich jede Geste und jeden Blick vor Augen.
Sie sind für Ihre gründliche Recherche bekannt. Haben Sie sich auch diesmal vor Ort in Mecklenburg-Vorpommern umgeschaut?
Ich war im Zuge einer Drehbuchbesprechung vor Ort und habe mich umgesehen. Ansonsten habe ich nur Material aus dem Bundesamt für Stasi-Unterlagen und ein paar Auskünfte von Journalisten und Historikern benötigt. Das alles, damit der verbürgte Rahmen der Handlung stimmt. Danach konnte ich meine zwei fiktiven Ermittler von der Leine lassen.
Denken Sie an eine Fortsetzung rund um das eigenwillige Ermittlerpaar Lona Mendt und Frank Elling?
Kiepenheuer & Witsch und Ich planen eine Fortsetzung für Lona und Elling, aber dafür nehme ich mir Zeit. Die fünf Jahre Entwicklung von »Die Toten von Marnow« schlagen sich aus meiner Sicht unter anderem auch darin nieder, wie vielschichtig mittlerweile alles miteinander verwoben ist, in mehreren Ebenen funktioniert und in Bezug zueinander steht. Der große Zeitaufwand hat sich für mich gelohnt. So möchte ich es auch mit dem Nachfolgeband halten.
Im Juni erscheint unter Ihrem Pseudonym der vierte Fall von »Lost in Fuseta«. Hier ermittelt der Hamburger Kommissar Leander Lost an der portugiesischen Algarve - die ideale Kulisse für eine Verfilmung. Wann dürfen wir damit rechnen?
Momentan bin ich mit einer Produzentin und einem Sender im Gespräch.
An welchem Projekt arbeiten Sie zurzeit?
An einer Folge für »Nord bei Nordwest« und an »Lost in Fuseta 5«. man/FOTO: MAN
An Leichen mangelt es nicht in dem jüngsten Werk von Holger Karsten Schmidt. Und gleich die erste präsentiert sich nicht besonders appetitlich: Alexander Beck hängt kopfüber von der Decke seines Badezimmers, nachdem ihm vorher die Kehle durchgeschnitten wurde. Was hat dieser Arbeitslose mit einer Reihe von Morden zu tun, deren Spuren alle irgendwie nach Marnow an die Mecklenburgische Seenplatte führen?
Es ist vor allem heiß, unerträglich heiß in diesem Jahrhundertsommer 2003. Sorgfältig legt der 54-jährige Autor, der in Hamburg aufgewachsen ist, sein fein gesponnenes Netz der Machenschaften ehemaliger Stasi-Mitarbeiter und den skrupellosen Interessen westdeutscher Pharmafirmen aus, in dem die Rostocker Kommissare Lona Mendt und Frank Elling nach und nach die Knoten lösen, um die wahren Täter zu entlarven.
Dafür lässt sich Schmidt fast 500 spannende Seiten Zeit, auf denen es auch um die heiklen Ermittlungsmethoden der beiden Einzelgänger geht, die sich als Team ohne viele Worte verstehen. Dabei werden die Grenzen der Illegalität mehr als einmal überschritten. Frank Elling, der sich mit Haus, Pool und Familie finanziell mächtig übernommen hat, lässt sich ungeniert bestechen. Lona Mendt deckt den Kollegen und begeht nach einer Vergewaltigung selbst fast einen Mord.
Ungewöhnliche Charaktere
Dem Autor gelingt es, durch genaueste Schilderungen ungewöhnliche Charaktere zu kreieren, die sich trotz ihrer Schwächen stets der Sympathien der Leser sicher sein können. Auf die Entwicklung eigensinniger Polizisten mit Ecken und Kanten ist Holger Karsten Schmidt geradezu spezialisiert. So hat er für Hinnerk Schönemann den Privatdetektiv »Finn Zehender« erdacht und den Ex-Polizisten Hauke Jacobs in »Nord bei Nordwest« sowie für Aljoscha Stadelmann den Dorfpolizisten Frank Koops in »Harter Brocken«.
Die Idee zu den »Toten von Marnow« lieferte Schmidt übrigens 2014 ein Artikel im »Spiegel«. Danach recherchierte er gründlich, denn er taucht tief in ein perfides Kapitel deutsch-deutscher Geschichte ein. Ein Pharmakonzern zahlt harte Devisen, um in einer ostdeutschen Klinik noch nicht zugelassene Medikamente testen zu lassen. Dabei gibt es Tote, vor allem Kinder, die billigend in Kauf genommen werden. Wer hat nach all den Jahren ein Interesse, diese unschuldigen Opfer zu rächen?
So viel sei verraten: Bei Schmidt gibt es mehr als einen Täter, die in diesem PolitThriller nach und nach ihre Masken bis zum überraschenden Ende fallen lassen.
Als Vierteiler schon verfilmt
Ein brisanter Stoff, der nahezu nach einer Verfilmung schreit. Noch bevor das Buch beim Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch erschien, wurde es im vergangenen Herbst schon als Vierteiler vom NDR mit Petra Schmidt-Schaller und Sascha A. Gersak in den Hauptrollen verfilmt. Auf die Ausstrahlung im Frühjahr 2021 darf man wirklich gespannt sein.
Holger Karsten Schmidt: »Die Toten von Marnow. Ein Fall für Lona Mendt und Frank Elling«, Verlag Kiepenheuer & Witsch, 480 S., 16 Euro, ISBN 978-3-462-04794-3