29. April 2021, 14:18 Uhr

KLAPPENTEXT

Stets regional verankert

29. April 2021, 14:18 Uhr

Der Mann lässt nichts anbrennen! Rund 500 000-mal gingen die in Frankreich spielenden Romane von Alexander Oetker seit 2017 über den Ladentisch. Die Aquitaine-Krimis mit Luc Verlaine, die »Zara & Zoë«-Marseille-Thriller und die in Paris angesiedelten Maigret-Remakes. Jetzt folgt ein weiterer Spielort: Am 5. Mai erscheint »Mittwochs am Meer«, eine in der Bretagne inszenierte Liebesgeschichte - ohne Mord und Totschlag.

Herr Oetker, an welchem Ihrer Wohnorte treffen wir Sie gerade an - in der deutschen Hauptstadt oder im französischen Südwesten?

In der Tat habe ich gerade das Glück, den rauen April-Atlantik in Biarritz genießen zu dürfen. Durch Corona konnte ich lange nicht mehr recherchieren, das ließ sich jetzt nicht mehr aufschieben. (…) Gottseidank konnte ich ja auch als Journalist weiterhin reisen, um über Corona in Frankreich und auf der iberischen Halbinsel zu berichten. So war ich den ganzen Winter über mit der Familie in Portugal und habe die schlimme Lage dort den Deutschen nähergebracht, genau wie die guten Ideen, die die Zahlen dann auch wieder gesenkt haben. Heute ist Portugal eines der Länder mit der niedrigsten Inzidenz weltweit.

Vergangenes Jahr legten Sie gleich vier neue Bücher auf - und konnten diese so gut wie nicht unmittelbar promoten, also durch Lesungen und Präsenz im Buchhandel. Wie fühlte sich diese Hilflosigkeit an?

Nun, zuerst war es toll, zu sehen, wie kreativ die Buchhändler und Buchhändlerinnen waren, mit unglaublich tollen Ideen, unsere Bücher an die Leser zu bringen. Mit Fahrradauslieferungen, kontaktloser Verkaufsfläche und anderen Tricks. Das gab Hoffnung. Das schlimmste ist aber bis heute, dass ich die Leserinnen und Leser nicht bei Veranstaltungen begrüßen kann, der direkte Kontakt fehlt total.

Wirkte sich diese Beschränkung auf die Verkaufszahlen und das Leserecho aus?

Am Anfang schon. Die Menschen haben im März und April 2020 mehr auf ihre Handys geschaut, nach Infiziertenzahlen, es war eine atemlose Zeit. Das wird jetzt besser, die Leute scheinen sich zurückzulehnen und in dieser Alternativlosigkeit anzukommen. Die Zahlen sind in Ordnung, die Menschen nehmen sich Zeit für Muße, fürs Lesen und fürs Reisen im Kopf.

Dürfen Sie die Gesamtauflage Ihrer Frankreich-Romane beziffern?

Es dürften mittlerweile rund eine halbe Million verkaufte Bücher sein, inklusive eBooks und Hörbücher.

War die Entscheidung, die Figur des Ermittlers Luc Verlaine in Bordeaux und der Aquitaine zu verorten, eine rationale oder eher eine emotionale Angelegenheit? Immerhin waren einzelne touristisch bedeutsame Gegenden des Hexagons bei Ihrer Premiere, bereits von Autoren auf dem deutschsprachigen Frankreich-Krimi-Markt besetzt; etwa die Bretagne und Normandie, das Périgord, die Provence.

Nein, es war pure Liebe. Ich habe im Aquitaine so viel Zeit verbracht, auf journalistischen Reisen zu Rotwein, baskischer Kultur und Co. - und ich habe das Surfen am Strand von Saint-Girons und Carcans-Plage gelernt. Meine Krimis mussten dort spielen, das war sonnenklar.

Wann darf man mit einer Fortsetzung der Luc-Verlaine-Reihe rechnen, die ja beim vierten Fall in Sachen Spannung und Dramatik noch einmal ordentlich sowie grenzübergreifend zugelegt hatte?

Der fünfte Fall erscheint im Herbst, er heißt »Rue de Paradis« und wird wieder deutlich regionaler. Er spielt am Cap Ferret und erzählt in einem Kammerspiel das Schicksal der Bewohner einer kleinen Straße inmitten einer Sturmflut. Das Vorbild ist der Sturm Xynthia, der 2010 in La Faute-sur-mer über 50 Menschenleben gefordert hat - das Buch ist den Bewohnern dieses Ortes gewidmet.

Wollen Sie uns ein wenig von Ihrer Rezeptur verraten? Wie viel Landeskunde, also Reiseführer-Qualitäten, braucht ein regional verankerter (Frankreich-)Krimi?

Die Fälle mit Luc Verlaine sind immer fest in der Region verankert: Es geht um die Globalisierung der Winzer, um die Austerndiebe am Bassin d’Arcachon und um Drogenfunde an den Stränden des Atlantiks. Das ist mir wichtig, weil genau das einen glaubhaften Regionalkrimi ausmacht. Und genau deshalb geht es auch um die Dinge, nach denen wir uns gerade in diesen Zeiten so sehnen: Das süße Leben in Frankreich, Meeresfrüchte, Wein. Das Geheimnis: Es muss glaubwürdig sein, die Protagonisten müssen zur Region passen, genau wie das Essen und die Liebe. Nicht wie eine Fototapete, nicht mit dem Vorschlaghammer, sondern so beiläufig, wie gerade die Franzosen im Südwesten ihr Leben mit den schönen Dingen bereichern.

Woher kam das Selbstvertrauen, die Courage, sich an die »Zara & Zoë«-Romane zu wagen? Die sind ja alles andere als leichte »Urlaubskuschelkost mit Wohlfühlcharakter«. In diesen Thrillern geht’s ja, etwa beim Blick auf die Verhältnisse in Marseille, um knüppelharte gesellschaftliche Offenbarung.

Ich wollte einfach einen realistischeren Blick auf unseren Nachbarn werfen. Na klar, es gibt auch noch die Dörfer zwischen Kirchturm und Boulangerie, mit dem Franzosen auf dem Fahrrad und der Baskenmütze auf dem Kopf. Aber es gibt eben auch die Banlieues, die Gangs, die Viertel, in die Polizisten keinen Fuß mehr setzen. Ich habe viele davon immer wieder besucht, deshalb sind die drei Thriller eine Herzensangelegenheit.

Schwenk nordwärts, nach Paris: Wie kam’s zu der Idee, 2018/19 Kommissar Lacroix zu erfinden und mit ihm für den deutschen Markt eine Art Maigret-Remake zu starten?

Genau so: Ich liebe Paris und kenne die Viertel rive gauche wie meine Westentasche. Daniel Kampa, mein Schweizer Verleger, und ich haben gemeinsam überlegt, warum die Autoren heutzutage Maigret ständig umschiffen, statt sich mal an diese Stoffe heranzuwagen und einen Commissaire im Heute zu schaffen, der viel lieber damals gelebt und ermittelt hätte, vielleicht gemeinsam mit diesem ikonischen Maigret. Also habe ich das getan, natürlich mit einem Augenzwinkern. Übrigens: Im neuen Fall ermittelt Lacroix im 8. Arrondissement und - das ist mir ebenfalls besonders lieb - seineabwärts in Giverny. Er wandelt dort natürlich auf den Spuren Monets, meines Lieblingsmalers.

Als ob die Vielfalt nicht schon reichte, haben Sie ein weiteres Terrain für sich ausgemacht, die Bretagne: Kommende Woche erscheint der Liebesroman »Mittwochs am Meer«. Der 174-Seiter, eher eine »short story«, erinnert an die Werke von Antonie Laurin (»Der Hut des Präsidenten« u.a.) und Lorraine Fouchet (»Die Farben des Lebens« u.a.), gepaart mit der aphrodisischen Power von Benoîte Groults »Salz auf unserer Haut«. Was hat Sie motiviert?

Eine Geschichte, die mir selber vor Jahren in Nordfrankreich geschehen ist. Es ist die Verarbeitung einer sehr schönen Begegnung. Und eine Liebeserklärung an die Bretagne, die ich als ostdeutsches Kind mit meinen Eltern nach der Wende erstmals besuchen durfte und seitdem nie wieder vergessen habe.

Bleibt »Mittwochs am Meer« ein Einzelstück oder wird daraus eine Reihe?

Ich werde immer wieder mal einen Roman schreiben, es ist einfach zu schön, wenn nicht immer jemand sterben muss. No. Schmidt

Alexander Oetker, Mittwochs am Meer, Verlag Atlantik, Hardcover, 176 Seiten, ISBN 978-3455010961. Euro 18

Heute wieder mal westwärts, ins Hexagon - mit Alexander Oetker, einem der bei uns erfolgreichsten Belletristik-Autoren mit Frankreich-Faible. Mit einer Gesamtauflage von rund 500 000 Exemplaren ist er zwar noch kein »Millionseller« wie Jean-Luc Bannalec, Martin Walker oder - ehedem - Peter Mayle († 2018), aber das kann ja noch werden. Gleich drei neue Bücher unterschiedlichen Formats von ihm kommen 2021 in die Regale des Handels, darunter am 5. Mai »Mittwochs am Meer«.

Damit diese Seite nicht nur etwas über Frankreich bietet, sondern auch etwas von dort, brauchen wir den »Klappentext«. Zu ausführlich geschwatzt mit Herrn Oetker. Zu den inhaltlich wie sprachlich anmutigsten Werken aus dem Nachbarland zählt derzeit Jacky Durands Roman »Die Rezepte meines Vaters« (2020, Verlag Kindler). Hier geht es um viel mehr als einen mit zarter Feder beschriebenen Vater-Sohn-Konflikt, um Kleinstadt-Idyll in den 1970ern oder etwa um profunde kulinarische Erzählung. Es geht vor allem um Abschied und Verlust. Unbedingt lesen!

»Was mich ernährt, das liebe ich: Essen, Trinken, Bücher!« Étienne de La Boétie, Freund des Philosophen Michel de Montaigne, soll das gesagt haben im 16. Jahrhundert. Eine agile Frau namens Maryse aus dem Burgund machte daraus ihren Leitspruch. Seit die Kinder aus dem Haus sind, erzählt sie über diese Leidenschaften im Netz. Anfangs hieß ihr Blog »Was gibt’s Neues in meinen Töpfen!«, jetzt www.recettes etrecits.fr/. Interessant, welche Buchtitel der Französin gefallen - und warum. Helles Köpfchen!

Apropos Blog und Buch: Hilke Maunders »Mein Frankreich« zählt zum Besten, was es auf diesem Feld bei uns gibt. Von profunden Infos zur Corona-Lage bei den Nachbarn über Landeskunde-Reportagen - bis hin zu ehrlichen Literatur-Tipps. Nicht von schlechten Eltern. Sehr empfehlenswert, zumal komplett werbefrei! Wo? meinfrankreich.com

Jetzt wird’s schon wieder eng. Nur noch elf Zeilen frei. Wer Oetkers Luc-Verlain-Krimis verifizieren will, tut gut daran, sich von Marcus X. Schmid begleiten zu lassen: Dessen »Südwestfrankreich« ist 2020 im Michael Müller Verlag runderneuert aufgelegt worden. Den Vorgänger haben wir getestet. An Ort und Stelle. Urteil: sehr gut! Auf die (Frankreich-)Sehnsucht! no



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